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Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung
Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats
beim Bundesministerium der Finanzen 03/2014

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Gutachten
„Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung“
Ausgabe: Dezember 2014

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Seite 5

Inhalt

0

Kurzfassung

Seite 6

1

Einleitung

Seite 7

2

Das duale System

Seite 10

2.1

Einige grundlegende Fakten - Öffentlicher Rundfunk in Zahlen

 

2.2

Gemeinsamkeiten zwischen Zeitungs- und Rundfunkmarkt

 

 

Die verfassungsrechtliche Perspektive

 

2.3

Gestaltungsspielräume für die zukünftige Rundfunklandschaft

 

3

Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

Seite 20

3.1

Effizienzanreizprobleme öffentlich regulierter Unternehmen

 

3.2

Das adäquate Leistungsspektrum

 

3.3

Schutz des Zuschauers vor sich selbst?

 

3.4

Finanzierung über nutzungsunabhängige Zwangsabgabe

 

3.5

Wettbewerb im „Gemischten Oligopol“

 

3.6

Neue Technologien

 

3.7

Veränderte Nutzungsgewohnheiten

 

4

Leitlinien für eine Reform

Seite 31

4.1

Subsidiaritätsprinzip und Korrektur von Marktfehlern

 

4.2

Erleichterung des Marktzutritts

 

4.3

Governance im öffentlichen Rundfunk

 

4.4

Finanzierung

 

5

Fazit

Seite 36

6

Anhang I-III

Seite 37

7

Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums der Finanzen

Seite 40

Seite 6   Kurzfassung

Kurzfassung

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Die technischen Gründe, mit denen einst das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerechtfertigt wurde, sind heutzutage weitgehend verblasst. Die Zahl der Programmkanäle ist technologisch bedingt stark angestiegen, die Eintrittskosten für neue Programmanbieter sind rapide gesunken, durch die verstärkte Nutzung des Internets als Informationsmedium kommt es zu Überlappungen zwischen Print- und Rundfunkmarkt.

Angesichts der technischen Entwicklung gibt es kaum noch Gründe, warum der Rundfunkmarkt wesentlich anders organisiert sein sollte als der Zeitungsmarkt, der durch ein breites privates Angebot und Subskriptionsmodelle gekennzeichnet ist. Nach Ansicht des Beirats gibt es daher gute Gründe für einige Reformen im Rundfunkbereich. Erstens sollte ein zukunftsfähiges System des öffentlichen Rundfunks dem Subsidiaritätsprinzip mehr Gewicht geben; die öffentlich-rechtlichen Anbieter sollten nur da auftreten, wo das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist. Zweitens sollte im öffentlichen Rundfunk auf die Werbefinanzierung komplett verzichtet werden, da ansonsten die Fehlanreize der Programmgestaltung, die mit dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunk beseitigt werden sollen, gleichsam durch die Hintertür wieder eingeführt werden. Drittens sollte sich der Gesetzgeber entweder für eine klare Finanzierung aus dem allgemeinen Haushalt oder für eine moderne Nutzungsgebühr, die beispielsweise dem Subskriptionsmodell im Zeitungsmarkt folgt, entscheiden. Viertens ist eine größere Transparenz durch die Publikation von Kenngrößen dringend notwendig, um die Kosteneffizienz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu fördern.

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1. Einleitung

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Aufgabe und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie das Verhältnis von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privaten Anbietern sind seit einiger Zeit wieder vermehrt Gegenstand der öffentlichen Diskussion.

Verstärkt wurde diese Diskussion in jüngster Zeit durch das Ausgreifen der öffentlich-rechtlichen Medien in den Bereich des Internets und durch die Reform der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Tieferer Hintergrund der Diskussion ist ein seit vielen Jahren anhaltender Diskurs darüber, ob das bestehende duale Konzept für Hörfunk und Fernsehen in Deutschland, die Aufgabenteilung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern, die Eintrittsbarrieren für private Anbieter und das Wettbewerbsverhältnis zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern, die interne Struktur und die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und der politische Auftrag angemessen sind oder einer grundlegenden Reform bedürfen.1

Die Öffnung und Nutzung des Internets für die Ausstrahlung von Fernseh- und Radiosendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war Anlass für ein neues Finanzierungsmodell.2 Dieses wurde zum 1. Januar 2013 deutschlandweit eingeführt, begleitet von einer heftigen Kritik in Tages- und Wochenzeitungen. Mit der Erstellung von Pressetexten auf ihren Informationsseiten im Internet haben sich die öffentlich-rechtlichen Medien jüngst in eine unmittelbare Konkurrenzsituation mit klassischen Printmedien begeben. Das Eintreten eines gebührenfinanzierten und nicht gewinnorientierten Konkurrenten in die Welt der journalistischen Printmedien und Informationsdienste hat nachhaltige Wirkungen auf die Struktur und Funktionsweise der Zeitungsmärkte. Die ohnehin schwierige Situation im Zeitungsmarkt wird durch die Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verschärft. Das Eintreten von Dienstleistern, die mit einer starken Finanzierung und nicht profitorientiert um Marktanteile konkurrieren, verändert grundlegend die Natur des Wettbewerbs.

1. Vgl. zuletzt etwa Jürgen Kühling, Unsere Sender, unsere Richter, in: FAZ Nr. 34 vom 10. Februar 2014, S. 7. Zu wettbewerbsrechtlichen Überlegungen und den europarechtlichen Aspekten vgl. Christoph Engel, 1990, Der Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die deutsche Rundfunkordnung, Nomos-Verlag, Baden-Baden.

2. Vgl. etwa Klaus Stern, Paul Kirchhof, Markus Höppener, Angelica Schwall-Düren, Jörg Geerlings und Wolfgang Hurnik, 2012, Die Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, C.H. Beck, München; den neuen Beitrag rechtfertigend Hanno Kube, 2014, Der Rundfunkbeitrag, Nomos-Verlag, Baden-Baden. Aus dem hier geschilderten Finanzierungsmodus fällt die vom Bund unter dem Leitgesichtspunkt der auswärtigen Kulturpolitik finanzierte Deutsche Welle heraus.

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Diese institutionellen Veränderungen vollziehen sich vor dem Hintergrund rascher technologischer Veränderungen. Die Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die rechtlichen Rahmenbedingungen von Fernsehen erfolgten in ihren Anfängen in einem institutionellen Rahmen, der mit der heutigen Situation wenig gemein hat. Die Erstellung eines anspruchsvollen und funktionsfähigen Fernsehprogramms war eine technische Herausforderung.

Die Zahl möglicher Fernsehkanäle war technologisch eng begrenzt, zunächst auf einen Sendekanal, wenig später auf eine sehr kleine Anzahl von Sendern. Diese Begrenzung besteht heute nur noch theoretisch und ist für alle praktischen Belange keine wirklich bindende Zugangsbeschränkung mehr. Abbildung 1 zeigt die dynamische Entwicklung der frei empfangbaren TV-Sender in Deutschland in den letzten 25 Jahren. Der Marktanteil von ARD, ZDF und den dritten Programmen der ARD, die vor Einführung des Privatfernsehens 1984 den Markt alleine beherrschten, lag 2013 nur noch bei 38 Prozent [Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF)]. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verliert nicht nur Marktanteile an private Programme, sondern verliert insgesamt durch das Internet an Bedeutung. Das Internet bietet dabei Sendeformate, die den klassischen Hörfunk- und Fernsehmedien vergleichbar sind und vermehrt über den Fernseher abgespielt werden können.

Abbildung 1: Anzahl der durchschnittlich pro Haushalt technisch empfangbaren TV-Sender in Deutschland von 1988 bis 2012 (jeweils am 1. Januar)

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Auch die finanziellen Hürden, die für das Betreiben eines Sendekanals entstehen, sind - anders als in der Frühzeit von Hörfunk und Fernsehen - heute niedrig. Das gilt für terrestrische oder kabelgebundene Kanäle und erst recht für Internetformate. Das stetige Anwachsen des Angebots ist also auch durch sinkende Kosten getrieben.

Diese Aspekte - insbesondere das neue Finanzierungsmodell, die technologische Revolution, die redaktionellen Angebote der öffentlichen Sender im Internet, die daraus entstehende Konkurrenz mit anderen Informationsmedien und die veränderte Nachfrage - bilden den Ausgangspunkt einer vorwiegend ökonomischen Analyse. Das Gutachten beginnt mit einem Sachstandsbericht, in dem die Grundsachverhalte des bestehenden „dualen Systems“ skizziert werden. Sodann werden die rechtlichen Rahmenbedingungen möglicher Reformen erörtert. Das anschließende Kapitel identifiziert bedeutsame wirtschaftspolitische Fehlsteuerungen und Reformbedarf im bestehenden System und leitet aus grundlegenden ökonomischen Überlegungen mögliche Ansatzpunkte einer Neuordnung ab. Die Analyse ergibt: Die veränderten technologischen Rahmenbedingungen und die dadurch ausgelösten Änderungen im Nutzerverhalten erfordern aus ökonomischer Perspektive eine Anpassung des Rundfunkmodells. Solche Alternativmodelle zum jetzigen System sind - entgegen weitverbreiteter Auffassung - verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Das Gutachten skizziert keinen konkret ausgestalteten „Gegenentwurf“. Vielmehr liefert es - anknüpfend an Analogien zu einem funktionsfähigen, Eingriffen der Politik weitgehend entzogenen Zeitungsmarkt - die konzeptionellen und allokationspolitischen Grundlagen

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2. Das duale System

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Einige grundlegende Fakten - Öffentlicher Rundfunk in Zahlen

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk3 hat innerhalb Deutschlands einen ungewöhnlichen Sonderstatus und ein beträchtliches Produktionsvolumen. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten betreiben 22 Fernsehkanäle sowie 67 Radioprogramme4 und entfalten Aktivitäten im Bereich des Internets.

Weiteren Aufschluss über das Angebot gibt der Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Ein normales Jahr hat 525.600 Minuten. Das Jahr 2012 verzeichnete dem gegenüber 10,2 Millionen Fernsehsendeminuten im Bereich der öffentlich-rechtlichen Sender, was in etwa 19 Fernsehjahren entspricht.5 Von dieser Sendeleistung waren etwa 493.400 Sendeminuten im Bereich der ARD und 487.900 Sendeminuten im Bereich des ZDF (jeweils ohne Werbung, KEF 2014, S. 32). Über 90 Prozent der Sendeminuten entfielen auf Spartenkanäle und dritte Programme.

Hinzu kommen 32,5 Millionen Sendeminuten im Bereich des Radios. Dieses Angebot wird ganz überwiegend durch Zwangsbeiträge finanziert. Die Aufwendungen von ARD, ZDF und Deutschlandradio lagen nach Angaben der KEF im Jahr 2013 bei 8.593,8 Millionen Euro (KEF 2014, S. 22).6 Dabei schlagen ca. 40.000 Erstsendeminuten im Bereich des Sports allein im 1. Programm der ARD mit rund 450 Millionen Euro an Kosten zu Buche (KEF 2014, S. 37, Abbildung 4). Dies sind ca. 8 Prozent der Sendezeit des Ersten Programms und ca. 0,4 Prozent der Gesamtfernsehsendeminuten, aber fast 5 Prozent der Gesamtausgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Beim ZDF hat der Sport eine ähnliche Bedeutung. Ausgaben für Sportsendungen mit ca. 35.000 Erstsendeminuten und Kosten von ca. 340 Millionen Euro dominieren auch dort alle anderen Bereiche für diesen Einzelsender im Hinblick auf die Kosten (KEF 2014, S. 37) und gehören neben dem Ressort „Fernsehspiele“ zu den teuersten Programmbereichen.

3. Rechtlich meinte „Rundfunk“ stets Hörfunk- wie Fernsehprogramme, so bereits BVerfGE 12, 205 (226); zum Ausfransen des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nur Herbert Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 90 ff.

4. Vgl. Hans-Peter Siebenhaar, 2012, Die Nimmersatten, Die Wahrheit über das System ARD und ZDF, Eichborn-Verlag, Köln.

5. Vgl. KEF, 19. KEF-Bericht, Februar 2014.

6. Die Tabelle im Anhang I stellt die Umsätze und Budgets der öffentlich-rechtlichen und größeren privaten Sender gegenüber.

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Mit 7.306,7 Millionen Euro waren 2012 Gebühren die Haupteinnahmequelle (KEF 2014, S. 141). Hinzu treten Einnahmen aus Werbung und Sponsoring. Für ARD und ZDF nennt der 19. Bericht der KEF beispielsweise Nettowerbeumsätze von 357,8 bzw. 132,1 Millionen Euro im Jahre 2012 (KEF 2014, S. 157 f.).7

Zum Januar 2013 wurde das bisherige Gebührenmodell, das die Zahlungsverpflichtungen der Bürger an den Besitz von Empfangsgeräten knüpfte, durch ein Modell der Zwangsabgaben, des sog. Haushaltsbeitrags ersetzt. Dabei ist die Zahlungsverpflichtung von der Verfügbarkeit eines Empfangsgeräts unabhängig und wird am Begriff des "Haushalts" bzw. der Betriebstätte festgemacht. Die Anhänge II und III in diesem Gutachten geben Aufschluss über Finanzierung und Steuerungsstrukturen des öffentlichen Rundfunks im internationalen Vergleich. Der internationale Vergleich in Anhang II zeigt in einem Überblick über eine Anzahl von Ländern, dass sich Marktanteile und Finanzierungsmodalitäten des öffentlichen Rundfunks zwischen den Staaten stark unterscheiden. Gebühren-/Beitragsmodelle existieren genauso wie Finanzierungen aus dem allgemeinen Steueraufkommen (Spalte 3).8 Das neue deutsche Modell ist allerdings insofern ungewöhnlich, als es zumindest begrifflich am Beitrag festhält, aber wie die Steuerlösungen keine Ausstiegsoption (als mögliche politische Reaktion des Individuums im Sinne von Albert O. Hirschman9) vorsieht. Auch durch Verzicht auf Empfangsgeräte im eigenen Haushalt kann man sich nicht von der Zahlung befreien. Dieser Verzicht auf eine Ausstiegsklausel wurde mit der technischen Entwicklung begründet, da praktisch nicht mehr kontrollierbar ist, wer auf welchem Wege (Mobiltelefone, Tablets, PCs, …) Rundfunksendungen konsumiert.10 Allerdings fehlt damit eine polit-ökonomische Bremse für Gebührenerhöhungen. Anhang II zeigt auch, dass Deutschland bei den öffentlichen Mitteln pro Kopf mit 94 Euro (2011) in der absoluten Spitzengruppe der betrachteten Länder liegt. Lediglich Norwegen und die Schweiz gaben pro Kopf mehr für öffentlichen Rundfunk aus

7. Werbung im Öffentlichen Rundfunk unterliegt bestimmten Restriktionen, was Sendezeit und Umfang von Werbeunterbrechungen angeht. Der 13. Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 10. März 2010 regelt in § 16 die Dauer der Werbung wie folgt: „(1) Die Gesamtdauer der Werbung beträgt im Ersten Fernsehprogramm der ARD und im Programm „Zweites Deutsches Fernsehen“ jeweils höchstens 20 Minuten werktäglich im Jahresdurchschnitt. Nicht angerechnet werden auf die zulässigen Werbezeiten Sendezeiten mit Produktplatzierungen und Sponsorhinweise. Nicht vollständig genutzte Werbezeit darf höchstens bis zu 5 Minuten werktäglich nachgeholt werden. Nach 20.00 Uhr sowie an Sonntagen und im ganzen Bundesgebiet anerkannten Feiertagen dürfen Werbesendungen nicht ausgestrahlt werden. § 17 bleibt unberührt. (2) In weiteren bundesweit verbreiteten Fernsehprogrammen von ARD und ZDF sowie in den Dritten Fernsehprogrammen findet Werbung nicht statt. (3) Im Fernsehen darf die Dauer der Spotwerbung innerhalb eines Zeitraumes von einer Stunde 20 vom Hundert nicht überschreiten. (…)“.

8. Darüber hinaus gibt es noch einige Sonderfälle wie die spanische Steuer auf Medien- und Telekommunikationsunternehmen oder den Zuschlag auf die Stromrechnung in der Türkei.

9. Albert O. Hirschman (1970): Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, Harvard University Press: Cambridge, MA..

10. Der Rundfunkbeitrag wurde jüngst von zwei Landesverfassungsgerichten für mit dem jeweiligen Landesverfassungsrecht vereinbar erklärt: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Mai 2014 - VGH B 35/12 und Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 15. Mai 2014 - Vf. 8-VII-12 und Vf. 24-VII-12.

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Gemeinsamkeiten zwischen Zeitungs- und Rundfunkmarkt

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Ein Vergleich der Struktur und des Grads der öffentlichen Regulierung des Zeitungsmarkts mit der Gestaltung des Angebots von Hörfunk- und Fernsehprogrammen zeigt eine auffällige Asymmetrie. Der deutsche Gesetzgeber überlässt die Bereitstellung von journalistischen Informationsdiensten im Bereich der Printmedien weitgehend dem freien Marktgeschehen. Dort konkurrieren in Deutschland lokal und überregional im Allgemeinen mehrere private Anbieter von Zeitungen und Zeitschriften. Ein öffentliches Angebot einer öffentlich-rechtlichen Tageszeitung, produziert durch eine aus Gebühren finanzierte Zeitungsredaktion, gibt es nicht. Der Marktzugang neuer Zeitungen unterliegt im Rahmen des Presserechts vergleichsweise geringer Regulierung. Diese ist im Gegenteil darauf gerichtet, den Marktzugang zu öffnen oder offen zu halten. Das hier pars pro toto herangezogene Berliner Pressegesetz - Pressrecht fällt in die Gesetzgebungskompetenz der Länder - schreibt beispielsweise in § 2 vor: „Die Pressetätigkeit einschließlich der Errichtung eines Verlagsunternehmens oder eines sonstigen Betriebes des Pressegewerbes darf nicht von irgendeiner Zulassung abhängig gemacht werden.“ Entsprechend ist der Zeitungsmarkt durch praktisch freien Zugang und privatwirtschaftliche Konkurrenz gekennzeichnet. Transparenzrichtlinien schreiben vor, dass Verantwortliche (Redakteure/Herausgeber) sowie Eigentumsverhältnisse offengelegt und entgeltliche Veröffentlichungen kenntlich gemacht werden. Die konkurrierenden Unternehmen auf dem Zeitungsmarkt sind großenteils gewinnorientiert, teilweise auch Stiftungen. Im Gegensatz dazu steht das duale System des Hörfunks und Fernsehens. Das System kennt eine Reihe von privatwirtschaftlich und überwiegend gewinnorientiert arbeitenden Anbietern von Hörfunk- und Fernsehprogrammen. Diese unterliegen Zulassungsbeschränkungen („Konzession“) und stehen unter regulatorischer Kontrolle („Staatsaufsicht“). Daneben gibt es das verfassungsrechtlich wiederholt gestärkte und durch Zwangsabgaben finanzierte System des öffentlichen Rundfunks mit seinem eigenen Aufsichts- und Finanzierungssystem.

Diese sehr unterschiedlichen Marktstrukturen sind überraschend. Printmedien und Rundfunkprogramme sind Produkte, die große Ähnlichkeiten aufweisen, auch wenn die Nutzerkreise unterschiedlich sind. Beide Produktklassen handeln mit Information. Beide Formen von Produkten werden mit Technologien hergestellt, bei denen die Erzeugung eines Produkts mit qualitativ hochwertigen Informationsinhalten erhebliche Kosten hat, wohingegen die Bereitstellung des Informationsinhalts an weitere Nutzer zu sehr geringen Grenzkosten möglich ist. Im Bereich der Zeitungen fallen erhebliche Kosten im redaktionellen Bereich an, während die zusätzliche Zeitung schnell und preiswert gedruckt ist. Im Bereich von Hörfunk- und Fernsehsendungen gilt Ähnliches. Die Kosten, das Produkt weiteren Nutzern zugänglich zu machen, sind sogar vergleichsweise noch geringer. Beide Produktkategorien haben weitere Gemeinsamkeiten. Die Zahl der möglichen Anbieter oder Einzelprodukte ist technologisch praktisch unbegrenzt. Der Eintritt eines weiteren Anbieters unterliegt heute keinen ernsthaften technologischen Beschränkungen mehr.

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Die verfassungsrechtliche Perspektive

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Das Produkt, das auf Zeitungs- wie Rundfunkmarkt vertrieben wird, ist ein besonders sensibles und steht deshalb unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes: Presse- und Medienfreiheit haben eine zentrale Bedeutung für die Funktionsweise eines demokratisch verfassten Gemeinwesens. In Deutschland wird diesem Sachverhalt auch im Grundgesetz (GG) Rechnung getragen. Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG normiert im inhaltlichen Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit in Satz 1 der Vorschrift: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ In diesem Satz werden Pressefreiheit (operationalisiert durch den Zeitungsmarkt) und die Rundfunkberichterstattung in einem Satz und erkennbar gleichrangig und symmetrisch genannt.

Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird allgemein so interpretiert, dass ein Zugang zu Information zu vertretbaren Kosten möglich sein muss, dass die bereitgestellten Informationen insgesamt einen hinreichenden inhaltlichen Standard haben, und dass Meinungsvielfalt gewährleistet werden muss. Letzteres wäre nicht gewährleistet, wenn Informationsorgane von bestimmten Interessengruppen monopolisiert wären, oder wenn die Politik, insbesondere die Regierung auf die Informationsverbreitung einseitigen Einfluss nehmen könnte. In der Rechtsprechung wurde die Rundfunkfreiheit funktional verstanden und als "dienende" Freiheit ausgelegt und daraus eine Verpflichtung des Gesetzgebers abgeleitet, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die diese Freiheit, Informationsvielfalt und Informationsreichtum gewährleisten11. Das wird durch die verfassungsrechtliche Positionierung der Rundfunkfreiheit als für die freiheitliche demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend abgesichert12.

Angesichts der heute bestehenden Parallelen in den technologischen und wirtschaftlichen Grundlagen beider Produktkategorien ist die Unterschiedlichkeit in der Gestaltung und Regulierung von Presse und Rundfunk durch den Gesetzgeber überraschend. Sie kann letztlich nur historisch erklärt werden, aus einer Zeit, in der die technologischen Unterschiede zwischen den Produktkategorien groß waren.13 Sie kann heute unter ökonomischen Gesichtspunkten damit nicht mehr begründet werden.

Man kann sich fragen, wie man in Deutschland eine freie Presse organisieren und regulieren würde, wenn es aus technologischen Gründen nur eine einzige Zeitung geben könnte. Wären Befürchtungen nicht legitim, dass diese Zeitung in die Hände eines Konzerns gelangen könnte, der sein Informationsmonopol für seine eigenen markt- und machtpolitischen oder ideologischen Interessen einsetzt? Oder dass die Zeitung unter staatlicher Kontrolle zum Agitationsinstrument der Regierung mu-

11. Dienend ist dabei in Abgrenzung zu einem liberalen Freiheitsbegriff zu verstehen, wonach die Rundfunkfreiheit den Einzelnen zu beliebigem Gebrauch überlassen wäre. BVerfGE 87, 181 (197 f.) unter Bezugnahme auf BVerfGE 57, 295 (320); 83, 238 (296); zuletzt Urteil vom 25. März 2014 - 1 BvF 1/11 und 4/11 - „ZDF-Staatsvertrag“, Rdnr. 33 ff. Kritik etwa bei Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), 2004, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 643 ff. (113. Aktualisierung September 2004).

12. BVerfGE 35, 202 (219); 117, 244 (258); Herbert Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 92 ff.

13. Die deutliche Orientierung der Rundfunkrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an den jeweiligen technischen und sozialen Gegebenheiten und den seitherigen Wandel betonen etwa Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 647 (113. Aktualisierung September 2004); Martin Bullinger, 2009, Freiheit von Presse, Rundfunk und Film, in: Josef Isensee und PaulKirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Auflage, § 163 Rn. 94, 99, 118 ff., 148 ff.

Seite 14   Das Duale System

tierte oder von dieser zumindest politisch instrumentalisiert werden würde? Würde man dann nicht zu einer Interpretation des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG neigen, wonach Pressefreiheit so verstanden werden müsste, dass Meinungsvielfalt innerhalb dieser einen Tageszeitung garantiert werden müsste? Man würde dann vielleicht ein Zeitungsfinanzierungsgesetz wünschen und eine Zeitungsaufsicht, die pluralistisch besetzt ist, und eine Kommission, die über die auskömmliche Finanzierung und die sparsame Mittelbewirtschaftung der öffentlich-rechtlichen Zeitung wacht. Stattdessen gibt es viele Zeitungen; sie sind einfach und preiswert zu produzieren und stehen in Konkurrenz zueinander. Entsprechend gering sind die Eingriffe der Politik in den Zeitungsmarkt. Dies führt zur Frage, ob das Modell, nach dem der Zeitungsmarkt geregelt ist, nicht auch ein geeignetes Modell für den Rundfunkmarkt sein kann. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat viele Facetten und kann hier nicht umfassend aufgearbeitet werden. Für unsere Fragestellung lässt sich jedoch Folgendes herausheben: Bereits im ersten Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 196114 musste sich das Gericht mit konkurrierenden Nutzungsansprüchen über damals in einem technischen Sinne noch absolut knappe Sende- und Übertragungsmöglichkeiten auseinandersetzen. Das Gericht billigte die überkommene, nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Organisationsform der Anstalt des öffentlichen Rechts, verlangte jedoch Staatsferne und im Sinne eines „Binnenpluralismus“ eine ausgewogene Programmgestaltung. Insbesondere die Organisationsform der Anstalt des öffentlichen Rechts wird nur als eine mögliche Form gesehen: „Art. 5 GG fordert zur Sicherung der Freiheit auf dem Gebiet des Rundfunks allerdings nicht die in den Landesrundfunkgesetzen gefundene und für die Rundfunkanstalten des Bundes übernommene Form. Insbesondere ist es von der Bundesverfassung nicht gefordert, daß Veranstalter von Rundfunksendungen nur Anstalten des öffentlichen Rechts sein können. Auch eine rechtsfähige Gesellschaft des privaten Rechts könnte Träger von Veranstaltungen dieser Art sein, wenn sie nach ihrer Organisationsform hinreichende Gewähr bietet, daß in ihr in ähnlicher Weise wie in der öffentlich-rechtlichen Anstalt alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen, und die Freiheit der Berichterstattung unangetastet bleibt. Gegen eine solche Gesellschaft besteht von Verfassungswegen kein Bedenken, wenn beispielsweise durch Gesetz eine die spezifischen Zwecke des Rundfunks, insbesondere die Erhaltung seiner institutionellen Freiheit sichernde besondere Gesellschaftsform zur Verfügung gestellt und jede, den angegebenen Erfordernissen genügende Gesellschaft, die Rundfunksendungen veranstaltet, einer Staatsaufsicht ähnlich etwa der Banken- oder Versicherungsaufsicht unterworfen wird.“15

Das dritte Rundfunkurteil vom 16. Juni 198116 musste auf die veränderten technologischen Rahmenbedingungen und Knappheitsverhältnisse, vor allem auch im Hinblick auf ein privatrechtliches Fernsehangebot eingehen. Grundlegend für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung sind die Ausführungen des Gerichts im maßstäblichen Teil seiner Entscheidung:

14. BVerfGE 12, 205.

15. BVerfGE 12, 205 (262); vgl. auch Roman Herzog, in: Theodor Maunz und Günter Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 5 Abs. I, II Rn. 213a (30. Ergänzungslieferung Dezember 1992).

16. BVerfGE 57, 295.

Seite 15   Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung

„Die Rundfunkfreiheit dient der gleichen Aufgabe wie alle Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG: der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung, dies in einem umfassenden, nicht auf bloße Berichterstattung oder die Vermittlung politischer Meinungen beschränkten, sondern jede Vermittlung von Information und Meinung umfassenden Sinne (vgl. BVerfGE 12, 205 [260] - Deutschland-Fernsehen; 31, 314 [326] - Umsatzsteuer; 35, 202 [222 f.] - Lebach). Freie Meinungsbildung vollzieht sich in einem Prozeß der Kommunikation. Sie setzt auf der einen Seite die Freiheit voraus, Meinungen zu äußern und zu verbreiten, auf der anderen Seite die Freiheit, geäußerte Meinungen zur Kenntnis zu nehmen, sich zu informieren. Indem Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsäußerungs-, Meinungsverbreitungs- und Informationsfreiheit als Menschenrechte gewährleistet, sucht er zugleich diesen Prozeß verfassungsrechtlich zu schützen. Er begründet insoweit subjektive Rechte; im Zusammenhang damit normiert er die Meinungsfreiheit als objektives Prinzip der Gesamtrechtsordnung, wobei subjektiv- und objektivrechtliche Elemente einander bedingen und stützen (vgl. BVerfGE 7, 198 [204 f.] - Lüth). Der Rundfunk ist ‚Medium‘ und ‚Faktor‘ dieses verfassungsrechtlich geschützten Prozesses freier Meinungsbildung (BVerfGE 12, 205 [260]). Demgemäß ist Rundfunkfreiheit primär eine der Freiheit der Meinungsbildung in ihren subjektiv- und objektivrechtlichen Elementen dienende Freiheit: Sie bildet unter den Bedingungen der modernen Massenkommunikation eine notwendige Ergänzung und Verstärkung dieser Freiheit; sie dient der Aufgabe, freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten. Diese Aufgabe bestimmt die Eigenart und die Bedeutung der Rundfunkfreiheit: Freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung durch den Rundfunk verlangt zunächst die Freiheit des Rundfunks von staatlicher Beherrschung und Einflußnahme. Insoweit hat die Rundfunkfreiheit, wie die klassischen Freiheitsrechte, abwehrende Bedeutung. Doch ist damit das, was zu gewährleisten ist, noch nicht sichergestellt. Denn bloße Staatsfreiheit bedeutet noch nicht, daß freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk möglich wird; dieser Aufgabe läßt sich durch eine lediglich negatorische Gestaltung nicht gerecht werden. Es bedarf dazu vielmehr einer positiven Ordnung, welche sicherstellt, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet und daß auf diese Weise umfassende Information geboten wird. Um dies zu erreichen, sind materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen erforderlich, die an der Aufgabe der Rundfunkfreiheit orientiert und deshalb geeignet sind zu bewirken, was Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisten will.“17

Seite 16    Das duale System

Das Gericht zieht auch einen Vergleich mit der Situation des freien Zeitungsmarkts heran. Im Zeitungsmarkt sieht das Gericht die Voraussetzungen für Zugang, Pluralität und Meinungsfreiheit als gegeben. Das Gericht erwägt als Gedankenexperiment, den Rundfunkmarkt analog auszugestalten, hält das Funktionieren eines solchen Modells grundsätzlich für möglich, ein Systemübergang wäre aber mit Risiken behaftet: „Auch bei einem Fortfall der bisherigen Beschränkungen könnte nicht mit hinreichender Sicherheit erwartet werden, daß das Programmangebot in seiner Gesamtheit kraft der Eigengesetzlichkeit des Wettbewerbs den Anforderungen der Rundfunkfreiheit entsprechen werde. Gewiß mag manches dafür sprechen, daß sich dann eine begrenzte Vielfalt einstellen werde, wie sie heute etwa im Bereich der überregionalen Tageszeitungen besteht.

Doch handelt es sich dabei nur um eine Möglichkeit. Während bei der Presse die geschichtliche Entwicklung zu einem gewissen bestehenden Gleichgewicht geführt hat, so daß es heute zur Sicherstellung umfassender Information und Meinungsbildung durch die Presse grundsätzlich genügen mag, Bestehendes zu gewährleisten, kann von einem solchen Zustand auf dem Gebiet des privaten Rundfunks zumindest vorerst nicht ausgegangen werden.“18

Insbesondere sieht das Gericht den Gesetzgeber dabei in der Gewährleistungspflicht. Das Gericht lässt explizit offen, wie diese Gewährleistungspflicht erfüllt wird: „Wie der Gesetzgeber seine Aufgabe erfüllen will, ist Sache seiner eigenen Entscheidung. Das Grundgesetz schreibt ihm keine bestimmte Form der Rundfunkorganisation vor; es kommt allein darauf an, daß freie, umfassende und wahrheitsgemäße Meinungsbildung im dargelegten Sinne gewährleistet ist, daß Beeinträchtigungen oder Fehlentwicklungen vermieden werden. Der Gesetzgeber hat insbesondere Vorkehrungen zu treffen, die sicherstellen, daß der Rundfunk nicht einer oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird, daß die in Betracht kommenden gesellschaftlichen Kräfte im Gesamtprogramm zu Wort kommen und daß die Freiheit der Berichterstattung unangetastet bleibt. …“19

Das Gericht räumt dem Gesetzgeber damit einen weitgehenden Gestaltungsspielraum ein, wie diese Gewährleistungspflichten durch Überwachung, Regulierung und andere Markteingriffe, also „binnen-pluralistisch“, oder aber durch ein anderes System
„außen-pluralistisch“ bewerkstelligt werden. Eine große Zahl weiterer Rundfunkentscheidungen stärkt zwar die Stellung der öffentlich-rechtlichen Anstalten, was ihre Rechte hinsichtlich Produktvielfalt und ihre Finanzierungserfordernisse angeht, die Entscheidungen nehmen dabei aber im Allgemeinen explizit Bezug auf den bestehenden Rechtsrahmen einer dualen Ordnung des Rundfunks. Sie bestimmen Aufgaben, Rechte und Finanzierungsansprüche der öffentlichen Rundfunkanstalten nur innerhalb dieses gesetzten Rechtsrahmens einer dualen Rundfunkordnung. Die im dritten Rundfunkurteil ausdrücklich erwähnten

18. BVerfGE 57, 295 (322 f.); diese Marktskepsis wird in den folgenden Entscheidungen „mit zunehmender
Entschiedenheit“ weiterverfolgt, vgl. Roman Herzog, in: Theodor Maunz und Günter Dürig, Grundgesetz.
Kommentar, Art. 5 Abs. I, II Rn. 216 (30. Ergänzungslieferung Dezember 1992).
19. BVerfGE 57, 295 (321 f.).

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grundsätzlichen Alternativen nimmt die Judikatur nicht mehr in den Blick. Das vierte Rundfunkurteil vom 4. November 1986 beispielsweise macht die unerlässliche „Grundversorgung“ zur „Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten“, aber eben nur innerhalb der „dualen Ordnung des Rundfunks, wie sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der deutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbildet“20. Es gehört zu den großen Defiziten der hier dargestellten Rechtsprechungslinie, dass der zentrale Begriff der „Grundversorgung“ weitgehend ungeklärt bleibt. Die fünfte Rundfunkentscheidung eröffnet den öffentlich-rechtlichen Anstalten zwar den Zugang zu Informationskanälen, die über den klassischen Rundfunk hinausgehen. Aber auch diese wie spätere Entscheidungen müssen im Licht der erwähnten Konditionalität gesehen werden. Die Freiheit des Gesetzgebers bei der Wahl des Rechtsrahmens, mit dessen Hilfe die Gewährleistungspflichten umgesetzt werden, die sich aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben, wird in verschiedenen Entscheidungen betont21, ist letztlich aber nicht mehr wirklich aufgenommen und diskutiert worden. Das gilt insbesondere auch für die herrschende Ansicht im rundfunkverfassungsrechtlichen Schrifttum.22 Auch die sechste Rundfunkentscheidung vom 5. Februar 1991 macht zwar die Bedingtheit der Regeln für die Ausgestaltung des öffentlichen Rundfunks von der grundsätzlichen Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers erneut deutlich: „Wie diese Ordnung im Einzelnen ausgestaltet wird, ist Sache der gesetzgeberischen Entscheidung. Das Grundgesetz schreibt weder ein bestimmtes Modell vor noch zwingt es zu konsistenter Verwirklichung des einmal gewählten Modells. Von Verfassungswegen kommt es vielmehr allein auf die Gewährleistung freier und umfassender Berichterstattung an.“23

Mit der Einführung einer sog. Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk24 erscheint dieser Ansatz freilich zugleich relativiert. Auch die folgenden Rundfunkentscheidungen, die sich mit Kurzberichterstattung, Finanzierung und anderen Spezialfragen befassen, bewirken jeweils eine Stärkung der öffentlich-rechtlichen Veranstalter im bestehenden dualen System, Alternativen geraten nicht mehr in den Blick. Zuletzt hat das Gericht betont, dass auch der technologische Wandel und die zunehmenden Übergriffe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in neue Kommunikationsformen wie dem Internet an den Argumenten der eingeschlagenen Rechtsprechungslinie nichts geändert hätten. Ja, die besonderen Wirkungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seien dadurch noch verstärkt worden.25

20. BVerfGE 73, 118.

21. BVerfGE 73, 118 (153).

22. Für die herrschende Meinung etwa Wolfgang Hoffmann-Riem, 1994, Kommunikations- und Medienfreiheit, in: Ernst Benda, Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, § 7 rn. 75 ff. Als Ausnahme sei immerhin Roman Herzog, in: Theodor Maunz und Günter Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 5 Abs. I, II Rn. 235 f., erwähnt, der bei Wegfall der Frequenzknappheit und hinreichenden Sicherungsmechanismen einen Anspruch Privater auf Zulassung zum Rundfunk vertritt.

23. BVerfGE 83, 238 (296).

24. BVerfGE 83, 238 (298, 299 f. und öfter); Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 778 ff. (113. Aktualisierung September 2004).

25. BVerfGE 119, 181 (215); 121, 30 (51); Urteil vom 25. März 2014 - 1 BvF 1/11 und 4/11 - „ZDF-Staatsvertrag

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Auch die neueste Entscheidung vom 25. März 2014 sieht indes die duale Rundfunkordnung als eine rahmensetzende Grundentscheidung des Gesetzgebers.26 Die inhaltlichen Vorgaben zur Staatsferne und Vielfaltssicherung erfolgen im Urteil explizit als ausgehend von der geltenden Rundfunkordnung, bzw. „im Rahmen der dualen Rundfunkordnung“.27 Innerhalb des dualen Systems betont das Urteil die marktkorrigierenden Funktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks:

„Er (der öffentlich-rechtliche Rundfunk) hat die Aufgabe, als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der marktwirtschaftlichen Anreize folgt und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffnet. Er hat so zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann ... Denn der publizistische und ökonomische Wettbewerb führt nicht automatisch dazu, dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werkhaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird ... Er hat hierbei insbesondere auch solche Aspekte aufzugreifen, die über die Standardformate von Sendungen für das Massenpublikum hinausgehen oder solchen ein eigenes Gepräge geben. Zugleich können so im Nebeneinander von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk verschiedene Entscheidungsrationalitäten aufeinander einwirken ... Entsprechend dieser Bedeutung beschränkt sich sein Auftrag nicht auf eine Mindestversorgung oder auf ein Ausfüllen von Lücken und Nischen, die von privaten Anbietern nicht abgedeckt werden, sondern erfasst die volle Breite des klassischen Rundfunkauftrags, der neben seiner Rolle für die Meinungs- und Willensbildung, neben Unterhaltung und Information eine kulturelle Verantwortung umfasst ... und dabei an das gesamte Publikum gerichtet ist ... Dabei muss sein Programmangebot für neue Publikumsinteressen oder neue Inhalte und Formen offenbleiben und darf auch technisch nicht auf einen bestimmten Entwicklungsstand beschränkt werden ...“28

Diese Ausführungen sind für den vom Gesetzgeber gewählten Rahmen einer dualen Rundfunkordnung getroffen29, das Gericht selbst geht jedoch der Sache nach kaum noch wirklich von Alternativen aus. Zur Problematik dieser Rechtsprechung gehört es, dass die Basis der rechtsdogmatischen Folgerungen ausschließlich mit Eigenzitaten belegt wird und weder ökonomische, sozialwissenschaftliche oder sonstige Fachliteratur einbezieht, der Begründungsduktus mithin zunehmend selbstreferentiell erscheint. Das alles hat entsprechende Auswirkungen auf die rundfunkverfassungsrechtliche Literatur und damit die medienrechtliche Diskussion insgesamt gehabt.

Nur angedeutet werden kann der europarechtliche Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der EuGH behandelt den Rundfunk als Dienstleistung i.S.v. Art. 56 AEUV, auf den die Wettbewerbsregeln für Unternehmen (Art. 101 ff. AEUV) grundsätzlich Anwendung finden. Die Gebührenfinanzierung löste daher seinerzeit einen Beihilfenstreit aus, der zwar beigelegt wurde,

26. Ebd., Rdnr. 36.
27. Ebd., Rdnr. 43, 44, 50.
28. BVerfG, Urteil vom 25. März 2014 - 1 BvF 1/11 und 4/11 - „ZDF-Staatsvertrag“, Rdnr. 36 und
29. Ebd., Rdnr. 35.

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im Zuge der Reform des Finanzierungsmodells jedoch erneut aufflackern könnte. Im Kern gelten die Sendungen des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks als „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 AEUV) und unterliegen dem von deutscher Seite durchgesetzten Amsterdamer Protokoll Nr. 29 von 1997, das feststellt, „dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Mitgliedstaaten unmittelbar mit demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen jeder Gesellschaft sowie mit den Erfordernissen verknüpft ist, den Pluralismus der Medien zu wahren“. Die Bestimmungen der Verträge berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, sofern die Finanzierung der Rundfunkanstalten dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dient und die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags Rechnung zu tragen ist.30

Gestaltungsspielräume für die zukünftige Rundfunklandschaft

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Angesichts dieser grundgesetzlich bestehenden, vom Bundesverfassungsgericht zunächst betonten, inzwischen jedoch kaum noch ventilierten Gestaltungsfreiheit kann man fragen, wie eine Hörfunk- und Fernsehlandschaft in Deutschland aussehen könnte, die einerseits dem Gewährleistungsauftrag aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für den Gesetzgeber gerecht wird, die andererseits die veränderten technologischen Gegebenheiten berücksichtigt und die Kräfte des Wettbewerbs wohlstandsmehrend zur Geltung bringt.

Wichtig ist dabei, nicht einer dem Status quo verhafteten Denkblockade zu verfallen, wie sie vor allem die neuere verfassungsgerichtliche Judikatur nahelegen könnte.31 Die Funktionsfähigkeit eines privatwirtschaftlichen Hörfunk- und Fernsehangebots kann und darf nicht nur aus der Perspektive eines bestehenden Systems empirisch erschlossen werden. Entscheidend ist nicht die Frage, ob angesichts des derzeit bestehenden privatwirtschaftlichen Angebots der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine bedeutsame Aufgabe erfüllt. Öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk bilden ein interdependentes System. Das privatwirtschaftliche Angebot hat sich angesichts des bestehenden, gebührenfinanzierten und breit aufgestellten öffentlich-rechtlichen Rundfunks entwickelt. Ein reformierter oder anders ausgerichteter öffentlich-rechtlicher Rundfunk würde ein entsprechend verändertes privatwirtschaftliches Angebot nach sich ziehen. Würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Programmangebot einschränken, würden dadurch zunächst Lücken entstehen. Nicht alle, aber viele dieser Lücken würden durch entsprechende neue Angebote der Privaten gefüllt werden. Bei einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen diese Reaktionen mitberücksichtigt werden

30. Abgedruckt in Christian Calliess und Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, S. 3061.

31. Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 758 ff. (113. Aktualisierung September 2004).

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3. Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

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Effizienzanreizprobleme öffentlich regulierter Unternehmen

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Seit dem 1. Januar 2013 ist ein der Höhe nach einheitlicher, von der tatsächlichen Nutzung der Produkte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unabhängiger Beitrag zu erheben, bezogen auf Haushalte und Betriebsstätten, derzeit in Höhe von 17,98 Euro pro Monat (§ 8 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags in der zum 1. Januar 2013 gültigen Fassung). Eine zentrale Rolle bei der Überprüfung der periodisch erfolgenden Bedarfsanmeldungen der Leistungserbringer spielt die bereits genannte unabhängige Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Der KEF gehören 16 unabhängige Sachverständige an. Dabei benennt jedes Land ein Mitglied. Deren Kompetenz soll sich auf die Bereiche Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung, Betriebswirtschaft (Personalfragen, Investitionen, Rationalisierung), Rundfunkrecht, Medienwirtschaft, Rundfunktechnik und Rechnungsprüfung durch Landesrechnungshöfe beziehen. Die Ernennung erfolgt jeweils durch den Ministerpräsidenten, bestimmte Funktionen sind nicht an bestimmte Länder gekoppelt.

Die Einnahmen aus Zwangsabgaben hatten 2012 ein Gesamtvolumen von ca. 7,5 Mrd. Euro.32 Bezogen auf die öffentlichen Mittel pro Kopf liegt Deutschland zwar nicht ganz am oberen Ende in Europa, wohl aber, was die Gesamtsumme angeht. Abbildung 2a zeigt die gesamten öffentlichen Ausgaben für den Rundfunk für einige ausgewählte Staaten im Jahr 2009; in Abbildung 2b sind die Aufgaben pro Kopf dargestellt. Grundsätzlich sollte man angesichts der spezifischen Kostenfunktion der Produktion von Rundfunkprogrammen eine deutliche Kostendegression erwarten: Viele Kosten der Produktion eines bestimmten Programmangebots sind praktisch unabhängig von der Zahl der Empfänger. Nur einige Kostenbestandteile, insbesondere die Lizenzgebühren für Filme und Serien, mögen ungefähr proportional mit den Zuschauerzahlen steigen. Wenn sich also gegebene Kosten in Deutschland auf 80 Millionen potentielle Nutzer verteilen, sollte deren Finanzierungsbeitrag pro Kopf bei gleicher Versorgungsqualität nur ein Bruchteil dessen sein, was in kleinen Ländern wie der Schweiz, Norwegen oder Österreich pro Kopf aufzubringen ist.33 Der hohe Finanzierungsbeitrag pro Kopf in dem bevölkerungsreichen Deutschland ist insofern ein Indikator für eine weit überdurchschnittliche Versorgung.

32. http://www.rundfunkbeitrag.de/haeufige_fragen/einnahmen_
oeffentlich_rechtlicher_rundfunk/

33. Dies ist per se nicht unbedingt ein Zeichen von Ineffizienz, da in größeren Ländern der Preis für zusätzliche öffentliche Programme durch die größere Nutzerzahl sinkt und daher der Wunsch nach mehr Programmen bestehen könnte.

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Abbildung 2a: Bevölkerungsgröße und öffentliche Rundfunkausgaben

 

Abbildung 2b: Bevölkerungsgröße und öffentliche Rundfunkausgaben pro Kopf

Quellen: .Nordicity, 2013, Analysis of Government Support for Public Broadcasting and Other Culture in Canada. Prepared for CBC/Radio-Canada. April 2011 und für die Wechselkurse http://www.oanda.com/lang/de/currency/converter/ zum 31. Dezember 2011

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Die derzeitige Finanzierung basiert auf dem Prinzip „Finanzmittel nach Bedarf“. Diesen Bedarf melden die Sendeanstalten an, und die KEF stellt den Bedarf fest. Der Prozess ist für eine breitere Öffentlichkeit nicht transparent und ordnungspolitische Steuerungsmechanismen sind kaum erkennbar. Dies hat auch zu viel öffentlicher Kritik am Finanzierungssystem des öffentlichen Rundfunks geführt.34

Eine Verbesserung der Situation innerhalb der bestehenden Ordnung ist keine einfache Aufgabe. Die Theorie öffentlicher Unternehmen lehrt, dass deren Regulierung den Regulator vor fast unlösbare Aufgaben stellt. Unternehmen, die sich marktwirtschaftlicher Konkurrenz stellen müssen, haben Anreize zur Kostenminimierung, zu Prozess- und Produktinnovationen und Anreize für eine Kundenorientierung, was Produkt- und Produktionsentscheidungen angeht. Unternehmen, die dabei versagen, scheiden aus dem Markt aus und werden von erfolgreicheren Unternehmen ersetzt. Die Zahl von Mitarbeitern und deren Löhne und Einkommen folgen im privaten Sektor einem Opportunitätskostenkalkül und haben so ihren natürlichen Anker. Ein entsprechendes Korrektiv gibt es in öffentlichen Unternehmen nicht in vergleichbarer Weise. Die Sender melden ihren Bedarf an Finanzmitteln an; dieser Bedarf wird von der KEF geprüft und bewilligt. Für diese Prüfung bedarf es ausreichend objektivierbarer Maßstäbe. Aber selbst gut und intelligent konzipierte Formen der Regulierung vermögen die fehlenden marktlichen Anreize im Bereich öffentlicher Unternehmen nicht zu ersetzen. Durch „Yardstick Competition“ werden beispielsweise einfache, standardisierte Kenngrößen, wie Minutenkosten einer Talksendung oder Kosten der Buchhaltung je Euro Budget, zwischen verschiedenen Sendeanstalten verglichen. Dabei bleiben indes viele Dimensionen, u.a. auch Qualitätsunterschiede, zunächst außer Acht, so dass unter dem Gesichtspunkt von Kosteneffizienz möglicherweise nicht Gleiches mit Gleichem verglichen wird. Fortschrittlicher ist die Nutzung von Effizienzanalysen (Data Envelopment Analysis - DEA). Dabei werden verschiedene öffentliche Anbieter entlang vieler Dimensionen miteinander verglichen. Ineffizienzen zeigen sich dann, wenn Anbieter unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Vergleichsdimensionen schlechter abschneiden als andere. Die Schwierigkeit solcher Untersuchungen besteht naturgemäß darin, die Qualität des Outputs in ihren vielen Dimensionen adäquat abzubilden. Da diese Methode aber auf vergleichbar komplexe Produktionsprozesse wie bei öffentlichen Schulen, Kindergärten, Polizei und Bibliotheken erfolgreich angewandt wird, sollte diese Methode auch beim Rundfunk anwendbar sein.35 Die Berichte der KEF liefern wenig Anhaltspunkte für den aktuellen Einsatz solcher Methoden.36

34. Die Monopolkommission weist auf ordnungspolitische Probleme hin, die sich aus den Verfahren der Finanzierungsanpassung ergeben, insbesondere die mangelhafte Kostenkontrolle; vgl. Monopolkommission, 2006, Hauptgutachten 2004/2005 - Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Nomos, Baden-Baden, Kapitel V. Für eine die jüngste Finanzierungsreform einbeziehende Kritik siehe Hans-Peter Siebenhaar, 2012, Die Nimmersatten, Die Wahrheit über das System ARD und ZDF, Eichborn-Verlag, Köln.

35. Vgl. Trevor Collier und Daniel.L. Millimet, 2008, Efficiency in Public Schools: Does Competition Matter? Journal of Econometrics 145, 134-157, Kristof De Witte und Benny Geys, 2011, Evaluating Efficient Public Good Provision: Theory and Evidence from a Generalized Conditional Efficiency Model for Public Libraries, Journal of Urban Economics 69, 319-327, Leigh M.. Drake und Richard Simper, 2003, The Measurement of English and Welsh Policy Force Efficiency: A Comparison of Distance Function Models, European Journal of Operational Research 147, 165-186, Anna Montén und Christian Thater, 2011, Determinants of Efficiency in Child-care Provision, FinanzArchiv/Public-Finance Analysis 67, 378-403.

36. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Gegenwehr der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gegen die an sich grundsätzlich zulässige Rechnungshofkontrolle, etwa durch Rechtsgutachten: Fritz Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und Rechnungsprüfung, 1984; Hans D. Jarass, Reichweite der Rechnungsprüfung bei Rundfunkanstalten, 1992.

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Das adäquate Leistungsspektrum

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Angesichts der Anreizprobleme der Regulierung öffentlicher Unternehmen liegt es nahe, deren Leistungsspektrum auf den Prüfstand zu stellen. Man könnte das Leistungsspektrum auf den Bereich reduzieren, der nicht adäquat durch marktwirtschaftlich-gewinnorientierte Unternehmen abgedeckt wird, bzw. abgedeckt würde, falls sich die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten aus dem jeweiligen Bereich zurückziehen sollten. Entsprechend empfiehlt es sich aus ökonomischer Sicht, für den öffentlich-rechtlich zu erbringenden Angebotsumfang ein strenges Subsidiaritätsprinzip einzufordern. Es handelt sich dabei um ein aus vielen wirtschaftspolitischen Bereichen bekanntes Organisationsprinzip, das Entscheidungskompetenz und Verantwortung zusammenführen soll. Angewandt auf die Abgrenzung zwischen privatwirtschaftlicher Produktion von Gütern und Dienstleistungen und öffentlich-rechtlicher Produktion besagt das Prinzip, dass eine öffentlich-rechtliche Produktion nur da angezeigt ist, wo eine privatwirtschaftlich organisierte Produktion versagt bzw. erhebliche Mängel aufweist, die sich auch durch weniger massive Staatseingriffe nicht abstellen lassen.

Seit den Forschungsergebnissen von Steiner (1952) und Beebe (1977) ist bekannt, dass das Gleichgewicht der Programmgestaltung rein marktwirtschaftlich orientierter Hörfunk- und Fernsehmedien durch Marktversagen gekennzeichnet sein kann. Die zentrale Erkenntnis dieser Arbeiten besagt, dass der Besitzer einer Radiostation angesichts der bestehenden Programmvielfalt besser beraten sein kann, ein bestehendes Programm zu duplizieren, als eine noch nicht besetzte Programmnische zu füllen37, bzw. dass spezielle Programmangebote im Gleichgewicht zu kurz kommen.38 Erfolgt das Programmangebot ausschließlich aus werbefinanzierten Programmen, wird tendenziell zu viel „Mainstream“ angeboten, da die Anbieter auf die Anzahl der Hörer aber nicht auf deren Zahlungsbereitschaften abzielen.39 Insbesondere Programme mit einer kleinen Hörergruppe mit hoher Wertschätzung werden nicht bedient, wenn die Anzahl der verfügbaren Kanäle knapp ist und/oder signifikante Fixkosten der Bereitstellung bestehen.

Die Werbefinanzierung führt zu einer Programmorientierung an Zielgruppen und Einschaltquoten. Mit bestimmten Programminhalten lassen sich große Zielgruppen ansprechen, bzw. Zielgruppen, die im besonderen Fokus der Werbeindustrie stehen. Diejenigen Programme, für die die Werbeindustrie eine hohe Zahlungsbereitschaft hat, weil sie damit viele bzw. zahlungskräftige Kunden erreicht, sind nicht unbedingt mit den Programminhalten identisch, für die Zuschauergruppen die höchste Wertschätzung haben. Wenn beispielsweise eine Zuschauergruppe für ein bestimmtes

37. Peter O. Steiner, 1952, Program Patterns and Preferences, and the Workability of Competition in Radio Broadcasting, Quarterly Journal of Economics, 66(2), 194-223. Theoretisch sind in einigen Modellen auch Gleichgewichte mit maximaler Differenzierung möglich, die empirische Evidenz des Programmangebots privater Sender legt jedoch eher Gleichgewichte mit minimaler Differenzierung nahe. Zur Theorie vgl. Simon P. Anderson und Jean J. Gabszewicz, 2006, The Media and Advertising: A Tale of Two-sided Markets, in: Victor A. Ginsburgh und David Throsby (Hrsg.), Handbook of the Economics of Art And Culture, Volume I, North Holland. Burlington, 598.

38. Jack H. Beebe, 1977, Institutional structure and program choices in television markets, Quarterly Journal of Economics 91(1), 15-37.

39. Bei empirischen Untersuchungen misst man die Programmvielfalt durch die Verteilung bzw. Konzentration der Sendezeit auf die verschiedenen Inhalte. Seit Einführung der Senderfinanzierung durch einzelne Werbespots in den USA (anstelle des Sponsorings ganzer Sendungen) ist die Programmvielfalt bei den großen TV-Sendern zurückgegangen; siehe Mara Einstein, 2004, Broadcast Network Television, 1955-2003: The Pursuit of Advertising and the Decline of Diversity, Journal of Media Economics 17, 145-155. Zur Kritik am methodischen Vorgehen siehe Shaun P. Hargreaves Heap, 2005, Television in a Digital Age: What Role for Public Service Broadcasting?, Economic Policy 41, 119.

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Sendeformat eine sehr hohe Zahlungsbereitschaft hat, diese Zuschauergruppe aber als Zielgruppe für die Werbeindustrie kaum interessant ist (z. B. weil die Gruppe nur eine schwache Kaufkraft hat oder gegenüber medialen Werbebotschaften relativ resistent ist), kommt es zu Programmlücken in einem kommerziellen Rundfunkangebot. Durch diesen Zielkonflikt zwischen Programmmachern und Zuschauern kann es zu unerwünschten Verzerrungen in der Programmgestaltung und einer Unterabdeckung von wünschenswerten Nischenangeboten kommen. Das Angebot an solchen Programmen kann aber im gesellschaftlichen Interesse liegen, wenn für die Zuschauer aus dieser Gruppe die Zahlungsbereitschaft für diese Nischenangebote hinreichend hoch ist. Mögliche Beispiele für solche Inhalte könnten Reportagen sein, die ein kostspieliges Auslandskorrespondenten-Netzwerk mit hohen Fixkosten erfordern, und Bildungs- und Kulturprogramme, die nur kleine Zuschauergruppen mit hoher Zahlungsbereitschaft ansprechen. Aufgabe der öffentlichen Hand ist gegebenenfalls die Korrektur des Marktversagens, beispielsweise indem wünschenswerte Programme angeboten werden, die auf einem unregulierten Markt nicht durch Private bereitgestellt werden.40

Einer solchen Korrektur durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ist eine partielle Werbefinanzierung eher abträglich. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk konkurriert dann nicht nur mit den Privaten um Werbekunden. Er setzt sich auch genau den gleichen möglichen Fehlanreizen aus, was die Orientierung an Zielgruppen und Einschaltquoten angeht. So entstehen im Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Tendenz die gleichen Verzerrungen und Programmlücken, mit denen gerade die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ökonomisch gerechtfertigt wird.

Eine Aufgabenabgrenzung, die sich am Subsidiaritätsprinzip orientiert, wird derzeit nicht praktiziert. Im Gegenteil: Man beobachtet den Bieterwettbewerb der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten um Sendeformate, die inhaltlich und konzeptionell von der privaten Konkurrenz praktisch kaum zu unterscheiden sind. Beispiele finden sich im Fernsehen besonders im Bereich der Sportberichterstattung, im Bereich von Vorabendserien sowie bei Diskussionsveranstaltungen. Es könnte der Eindruck entstehen, dass nicht der grundgesetzliche Versorgungsauftrag und die Vielfalt im Zentrum der Aufmerksamkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehen, sondern die Einschaltquoten.41 Auch im Hörfunk gibt es erhebliche Doppelungen, z. B. wenn öffentliche und private Sender gleichermaßen die „größten Hits aus den 80er und 90er Jahren“ spielen.

40. Neben der Schaffung eines öffentlich-rechtlichen Angebots gibt es indes eine weitere mögliche Antwort auf das marktwirtschaftliche Versagen, Programmnischen zu füllen und Programmvielfalt durch Wettbewerb zu erzeugen. Diese Antwort besteht in kluger Regulierung des privaten Angebots. Eine dritte Antwort besteht in der Schaffung hinreichend vieler Programme. Die von Steiner und Beebe aufgezeigten Probleme verschwinden, sobald die Zahl der verfügbaren Sender hinreichend groß und die Kosten für die Angebotserzeugung hinreichend niedrig sind. Der Frage, ob angesichts der gestiegenen Verfügbarkeit von Sendekanälen überhaupt noch ein Bedarf für ergänzendes öffentliches Programmangebot besteht, wird in Kapitel 4 diskutiert.

41. Vgl. Giovanni Di Lorenzo, 2013, Mut ins Programm!, Die Zeit Nr. 22, 23. Mai 2013, Seite 1.

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Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten führen als Rechtfertigung für die Duplizierung des privaten Programmspektrums gelegentlich an, dass die Zuschauer bzw. Zuhörer nur auf diesem Wege zum Konsum anspruchsvoller und bildender Programme verleitet werden können.42 Zu solchen „Lead-in“-Effekten gibt es einige empirische Studien. Wonneberger et al. (2012) untersuchen beispielsweise den Konsum von TV-Nachrichten im holländischen Fernsehmarkt zwischen 1988 und 2012.43

Trotz der Möglichkeit, auf andere Programme umzuschalten, hat das den Nachrichten vorhergehende Programm einen Einfluss auf den Nachrichtenkonsum und dieser Einfluss nahm sogar im Zeitverlauf noch zu.44 Falls aus Gründen der politischen Bildung der Konsum von Nachrichtensendungen gegenüber anderen Sendungen erhöht werden soll, könnte die Kombination aus attraktiven Unterhaltungssendungen mit Nachrichtensendungen diesem Ziel u.U. dienen. Unklar ist aber, ob ein beiläufiges Sehen von Nachrichten die Zuschauer auch wirklich erreicht. Schoenbach und Lauf finden beispielsweise, dass der Umfang der TV-Berichte über die Europawahl 1999 keine Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung hatte.45 Für Deutschland zeigt eine Untersuchung des Nachrichtenkonsums im Umfeld wichtiger TV-Ereignisse (Fußball-EM 2008 und Tatort-Ausstrahlung), dass versehentliche Nutzer der Fernsehnachrichten etwas besser informiert sind als Nicht-Nutzer.46

Das „Lead-in“-Argument ist überwiegend meritorischer Natur. Hier wird vom Programmmacher der „richtige“ Konsum von politischer Information für den vermeintlich unmündigen Bürger ausgewählt und ihm im Paket mit Unterhaltungssendungen angeboten. Es liegt im Interesse eines auf guter Information basierten politischen Willensbildungsprozesses, Zugang zu Information zu garantieren und die Kosten des Zugangs niedrig zu halten. Eine meritorische Festlegung der richtigen Menge an Nachrichtenkonsum geht darüber ein Stück hinaus. Selbst wenn man eine solche Praxis für legitim hält, so wäre der „Lead-in“-Effekt kein zwingendes Argument für die gegenwärtige Programmgestaltung. Erstens kann

42. Ein anderes Argument für populäre Unterhaltungssendungen besagt, dass die Sender dadurch ein positives Image aufbauen können, das ihnen dann hilft, anspruchsvolle Themen aus Politik, Kultur oder Wirtschaft an die Zuschauer zu bringen. Allerdings beziehen die öffentlich-rechtlichen Sender ihr positives Image aus den Informations- und eben nicht aus den Unterhaltungssendungen. In der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation schreiben die Zuschauer den öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen die Eigenschaften sachlich (öffentlich-rechtlich 78 Prozent vs. privat 15 Prozent), glaubwürdig (75 Prozent / 14 Prozent) und kompetent (72 Prozent / 20 Prozent) zu, aber kaum Eigenschaften wie unterhaltsam (30 Prozent / 62 Prozent) oder modern (26 Prozent / 68 Prozent); siehe Christa-Maria Ridder und Bernhard Engel, 2010, Massenkommunikation 2010: Funktionen und Images der Medien im Vergleich, Media Perspektiven 11/2010, 537-548.

43. Entgegen der landläufigen Meinung können sie nicht bestätigen, dass die zunehmende Vielfalt im Fernsehangebot zu einer Abnahme des Nachrichtenkonsums geführt hat.

44. Vgl. Anke Wonneberger, Klaus Schoenbach und Lex van Meurs, 2012, Staying Tuned: TV News Audiences in the Netherlands 1988—2010, Journal of Broadcasting & Electronic Media 56(1), 55-74. Zu einer frühen Studie des Lead-in Effekts siehe Marilyn L. Boemer, 1987, Correlating Lead-in Show Ratings with Local Television News Ratings, Journal Of Broadcasting & Electronic Media 31(1), 89-94. 45. Klaus Schoenbach und Edmund Lauf, 2002, The “Trap” Effect of Television and Its Competitors, Communication Research 29, 564-583. Dass die Verfügbarkeit von politischen Nachrichten durchaus Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung haben kann, zeigen Della Vigna und Kaplan anhand des Markteintritts von Fox News in den USA. Der Markteintritt des konservativen Nachrichtensenders Fox News erhöhte in den Städten, in denen der Sender im Kabelnetz verfügbar war, die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Jahr 2000 und mobilisierte insbesondere die Wähler der Republikaner; Stefano della Vigna und Ethan Kaplan, 2007, The Fox News Effect: Media Bias and Voting, Quarterly Journal of Economics 122, 1187-1234.

46. Frank Marcinkowski, 2010, Das Fernsehen als Politikvermittlungsfalle. „Versehentliche“ Nutzung und „beiläufiges“ Lernen von Nachrichten, Christian Schemer, Werner Wirth und Carsten Wünsch (Hrsg.), Politische Kommunikation: Wahrnehmung, Verarbeitung, Wirkung, Nomos, Baden-Baden, 171-191.

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das Argument die vollständige Duplikation von privaten Sendeformaten wie im Falle der Pop-Sender kaum rechtfertigen; diese Sender sind von außen praktisch ununterscheidbar von ihren privaten Pendants. Selbst die Namensgebung von Radioprogrammen (beispielsweise „Jump“, „N-Joy“, „YouFM“, „Fritz“) verschleiert oft deren öffentlich-rechtliche Herkunft. Zweitens kann man auch im TV-Bereich kaum die große Zahl an Unterhaltungssendungen als „Lead-in“ zu den gelegentlichen Nachrichten- und Informationsformaten rechtfertigen. Und drittens dürfte der „Lead-in“-Effekt durch die vermehrte Nutzung von Mediatheken allmählich verschwinden. Wonneberger et al. erwarten z. B., dass mit der steigenden Nutzung der nicht-linearen Medien, bei denen sich die Nutzer ihr Programm zeitlich flexibel selbst zusammenstellen (z. B. durch Breitbandzugriff auf Mediatheken), der Nachrichtenkonsum vom Programmschema entkoppelt wird - ein Trend, der bei der jungen Bevölkerung bereits zu beobachten ist.

Schutz des Zuschauers vor sich selbst?

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Gelegentlich wird der Suchtcharakter des Fernsehens als weiterer Marktfehler angeführt.47 Ein solches Suchtproblem liegt vor, wenn der Fernsehkonsum den Wunsch nach mehr Fernsehkonsum erhöht.48 Ob das Vorhandensein eines Suchtpotentials eines Guts staatliche Eingriffe rechtfertigt, ist umstritten. Denn staatliche Eingriffe haben hier einen meritorischen Charakter. Eingriffe werden typischerweise nur im Bereich Minderjähriger bejaht, vor allem da, wo das Suchtgut massive irreparable Schädigungen beim Konsumenten selbst oder erhebliche Beeinträchtigungen in seinem direkten Umkreis hervorrufen kann. Im Rahmen der Verhaltensökonomik wird auch auf ein mögliches Phänomen verwiesen, wonach Konsumenten in ihrem Verhalten Gegenwartskonsum und Zukunftskonsum nicht konsistent gegeneinander abwägen.49 Ob eine intertemporale Inkonsistenz von Konsumentenpräferenzen staatliche Eingriffe rechtfertigt, ist dabei zweifelhaft. Selbst wenn man solche Eingriffe grundsätzlich akzeptiert, rechtfertigt dies nicht den Status Quo des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Produktion eines öffentlich-rechtlichen Angebots und die Bereitstellung eines Guts zu einem Nutzerpreis von Null ließen sich kaum damit rechtfertigen, dass dieses Gut süchtig macht oder im Übermaß konsumiert wird. Übermäßigem Konsum wird im Gegenteil üblicherweise durch Verbraucheraufklärung und Information, Steuern, Verbote oder Angebotseinschränkungen begegnet.

Soweit man nur dem privaten Fernsehen gefährliches Suchtpotential zuschreibt, lässt sich der möglicherweise vorhandene Überkonsum ebenfalls nicht in den Griff bekommen, solange die Zuschauer zu den privaten Sendern wechseln können. Eine Besteuerung des Fernsehkonsums, eine starke Regulierung des Programmangebots oder ein Verbot der Privaten stünden aber wohl im Widerspruch zur Rundfunkfreiheit. Solche Maßnahmen wären ein weitgehender Eingriff in die Konsumentensouveränität.50

47. Vgl. Marco Gui und Luca Stanca, 2009, Television Viewing, Satisfaction and Happiness: Facts and Fiction, Working Paper No. 167, Dipartimento di Economia Politica, Università degli Studi di Milano-Bicocca.

48. Vgl. Gary S. Becker und Kevin M. Murphy, 1988, A Theory of Rational Addiction, Journal of Political Economy 96(4), 675-700.

49. Vgl. beispielsweise David Laibson, 1997, Golden Eggs and Hyperbolic Discounting, Quarterly Journal of Economics 112(2), 443-378 und Richard H. Thaler, Amos Tversky, Daniel Kahneman und Alan Schwarz, 1997, The Effect of Myopia and Loss Aversion on Risk-taking: an Experimental Test, Quarterly Journal of Economics 112(2), 647-661. Die externe Validität der diese Theorie stützenden Laborbefunde ist umstritten. Vgl. z. B. James Andreoni und Charles Sprenger, 2012, Risk Preferences Are not Time Preferences, American Economic Review 102, 3357-3376.

50. Die Monopolkommission (2006, 396ff, a.a.O) diskutiert weiter denkbare Formen des Marktversagens, wie z. B. adverse Selektion, und verwirft diese Marktversagensgründe als wenig plausibel.

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Finanzierung über nutzungsunabhängige Zwangsabgabe

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Die Finanzierung von Anbieterleistungen auf Märkten hat wichtige Steuerungsfunktionen. Passt die Art der Finanzierung von Leistungen nicht zum institutionellen Kontext der erbrachten Leistungen, gehen von der Finanzierung gar keine oder sogar falsche Steuerungsimpulse aus. An idealtypischen privaten Gütermärkten lenkt die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager Art und Umfang des Angebots in effizienter Weise. Im Bereich des privaten Rundfunks erfolgt die Finanzierung ganz überwiegend durch Werbeeinnahmen. Dabei orientieren sich die Sender mit ihrem Angebot an den erzielbaren Einschaltquoten und Zielgruppen, da sich höhere Einschaltquoten bestimmter Zielgruppen in höhere Werbeeinnahmen umsetzen. Die Zahlungsbereitschaft der Nutzer steuert in diesem Markt nicht direkt das Angebot. Indirekt erfolgt eine solche Steuerung aber über die Attraktivität und Zahl dieser Nutzer als Empfänger von Werbebotschaften.

Mit einer Finanzierung durch nutzungsunabhängige Zwangsabgaben wie dem sog. Haushaltsbeitrag seit dem 1. Januar 2013 wurde die Sonderrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Wirtschaft und Gesellschaft weiter verfestigt. Ziel der Finanzierung ist die Bereitstellung der bereits diskutierten Grundversorgung, also eines gesellschaftlich gewünschten Angebots, insbesondere soweit dieses nicht durch private Anbieter gewährleistet ist. Eine der Höhe nach maßgeblich vom Anbieter bestimmte, nutzungsunabhängige Zwangsabgabe kann keine Impulse für eine optimale Angebotssteuerung setzen. Alternative Finanzierungskonzepte könnten die nachfrageseitige Zahlungsbereitschaft, gerade auch für die von den privaten Anbietern möglicherweise nicht bereitgestellten Angebote, einbeziehen. Als alternative Finanzierungsmodelle werden Nutzungsabgaben einerseits und eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus allgemeinen Steuermitteln andererseits häufig diskutiert. Darauf wurde bereits hingewiesen. Auch stellt sich die Frage, wer gegebenenfalls die adäquate Gruppe der Zahler einer Zwangsabgabe sein sollte.51

Gegen eine Finanzierung aus den allgemeinen Staatshaushalten (der Länder) wird gelegentlich eingewandt, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten damit die erfolgreiche Beeinflussung der Entscheidungsträger für (zu hohe) Finanzierungsbeiträge erleichtert würde. Allerdings ist unklar, ob die Rundfunkanstalten leichter Einfluss auf die Parlamentarier als auf die 16 Mitglieder der KEF nehmen können. Für eine Steuerfinanzierung sprechen die verbesserte demokratische Legitimierung und Kontrolle sowie die parlamentarischen Hürden gegenüber einem Ausufern der Finanzierungsansprüche.52

51. Vgl. z. B. Karolin Herrmann, 2013, Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Wirtschaftsdienst 8/2013, 552-556. Um die Finanzierung zu entpolitisieren und den Druck nach Budgeterhöhungen für den Rundfunk abzumildern, schlägt die Monopolkommission (2006, 415f, a.a.O) eine (einkommensabhängige) Fernsehsteuer vor, wobei das Aufkommen aus dieser Steuer an die allgemeine Preisentwicklung gekoppelt sein soll, so dass das Budget in Zukunft nicht mehr durch diskretionäre Eingriffe real wachsen kann.

52. Zu den - sehr umstrittenen - verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Steuerfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter gleichzeitiger Wahrung der Staatsferne hinsichtlich des Programms siehe Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Fragen einer Steuer-/Haushaltsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, AfP 2011, 1-10.

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Wettbewerb im „Gemischten Oligopol“

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Die Theorie des „gemischten Oligopols“ untersucht Wettbewerb in Märkten, in denen private, gewinnorientierte Unternehmen mit öffentlichen Unternehmen konkurrieren.53 Letztere verfolgen oft nicht das Ziel der Gewinnmaximierung, sondern der Kostendeckung und können wirtschaftliche Fehlbeträge häufig innerhalb des öffentlichen Sektors weitergeben. Die Theorie des gemischten Oligopols zeigt, dass solche öffentliche Unternehmen in der Konkurrenz mit gewinnwirtschaftlich orientierten Unternehmen aggressiver auftreten können als ihre Wettbewerber. In der dualen Medienordnung handeln die öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaften in der Rolle kostendeckender „öffentlicher Unternehmen“. Entsprechend der Theorie konkurrieren sie im Vergleich zu privatwirtschaftlichen Anbietern also aggressiver. Die Überlegungen zum gemischten Oligopol sind im Bereich des Markts für Online-Texte von besonderer Bedeutung. Die kostenlosen Nachrichtenangebote von ZDF.de oder tagesschau.de im Internet konkurrieren hier mit den Online-Angeboten der klassischen Printmedien. Die beitragsfinanzierten Angebote behindern in der Tendenz Prozesse, durch die sich ein selbst tragendes, qualitativ hochwertiges Subskriptionssystem privatwirtschaftlicher Anbieter (spiegel.de, faz.net, welt.de, ...) entwickeln kann.54 Ein solches Subskriptionssystem hätte nicht nur den Vorteil, dass es sich über die Zahlungsbereitschaft der Nutzer selbst finanziert. Es hätte auch den Vorteil, dass die Zahlungsbereitschaft der Nutzer eine wichtige Steuerungsfunktion ausüben kann.

Neue Technologien

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Die beschriebene Theorie zum Entstehen einer ineffizienten Programmvielfalt geht meist (implizit) von knappen Transmissionskapazitäten aus. Wenn Sender privatwirtschaftlich um eine beschränkte Zahl von Rundfunkfrequenzen konkurrieren, werden sich die Programme mit den höchsten Marktanteilen durchsetzen. Bei rein werbefinanziertem Programm kann das, wie bereits ausgeführt, zu ineffizienter Programmvielfalt und zur Doppelung von Programminhalten führen. Durch neue Technologien - insbesondere das Internet, aber auch die Digitalisierung des terrestrischen Rundfunks - haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Die Zahl der möglichen Sender ist technisch für alle praktischen Belange unbegrenzt. Und in der Tat findet sich für praktisch jede Musikvorliebe inzwischen ein geeignetes Internetradio. Zumindest was die Bereitstellung von Musik über Rundfunk betrifft, sind damit Staatseingriffe zur Sicherung der Programmvielfalt allem Anschein nach überflüssig geworden.

53. Der Wettbewerb zwischen gewinnmaximierenden Unternehmen und solchen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind und dabei Kostendeckung anstreben, ruft eine große Zahl von strategischen Überlegungen auf den Plan. Einige besonders prominente Studien sind: Gianni de Fraja und Flavio Delbono, 1989, Alternative Strategies of a Public Enterprise in Oligopoly, Oxford Economic Papers - New Series 41(2), 302-311; Ikuo Ishibashi und Toshihiro Matsumura, 2006, R&D Competition between Public and Private Sectors, European Economic Review 50(6), 1347-1366; Toshihiro Matsumura, und Noriaki Matsushima, 2004, Endogenous Cost Differentials between Public and Private Enterprises: a Mixed Duopoly Approach, Economica 71(284), 671-688; Toshihiro Matsumura, 1998, Partial Privatization in Mixed Duopoly, Journal of Public Economics 70(3), 473-483.

54. Das Problem wird noch verschärft, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender auch noch Werbeeinnahmen erzielen dürfen und damit die Finanzierungsbasis der Privaten schwächen können.

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Veränderte Nutzungsgewohnheiten

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Die große Verfügbarkeit von Information und Unterhaltung über das Internet hat zu veränderten Konsumgewohnheiten geführt, da die Nachfrager Sendungen vermehrt „on demand“ und nicht mehr gemäß des von den Sendern vorgegebenen Programmschemas konsumieren. Der (terrestrische oder kabelgebundene) Rundfunk konkurriert heute, vor allem bei jungen Menschen, zunehmend mit dem Internet als Hauptinformationsmedium.55 Abbildung 3 zeigt, wie drastisch sich die Mediennutzung bei der Bevölkerung im Alter zwischen 14 und 29 Jahren seit dem Jahr 2000 verschoben hat.56 Zugleich bietet das Internet Sendeformate, die eine ähnliche Suggestivkraft haben wie Formate in den klassischen Hörfunk- und Fernsehmedien. Werden solche Internetangebote über den Fernseher abgespielt, verschwinden die Unterschiede der Medien praktisch vollständig.

55. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem jüngsten Urteil - ZDF-Staatsvertrag - durch die „Ergänzung“ des traditionellen Rundfunks durch Internet u.ä. eine Steigerung der staatlichen Verantwortung hinsichtlich der Gefahren durch die Suggestivkraft des Fernsehens selbst (!) gesehen: „Die besondere staatliche Verantwortung für die Sicherung von Vielfalt in diesem Bereich hat ihren Grund in der herausgehobenen Bedeutung, die dem Rundfunk - und insbesondere dem Fernsehen - wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt, und sich insbesondere daraus ergibt, dass Inhalte schnell, sogar zeitgleich, übertragen und dabei Ton, Text und bewegte Bilder miteinander kombiniert werden können. Diese Wirkungsmöglichkeiten gewinnen zusätzliches Gewicht dadurch, dass die neuen Technologien eine Vergrößerung und Ausdifferenzierung des Angebots und der Verbreitungsformen und -wege gebracht sowie neuartige programmbezogene Dienstleistungen ermöglicht haben.“ Urteil vom 25. März 2014 - 1 BvF 1/11 und 4/11, Rdnr. 34.

56. Auch bei der Bevölkerung über 29 Jahren hat die Internetnutzung in den letzten Jahren zugenommen; allerdings fällt die Nutzungsintensität (Stunden pro Tag) bei der älteren Bevölkerung geringer aus, siehe Forschungsgruppe Wahlen e.V., 2013, Internet-Strukturdaten - Repräsentative Umfrage, IV. Quartal 2013, Mannheim. Verlust und Alterung der Zuschauer beschäftigt auch die öffentlich-rechtlichen Sender; siehe Volker Giersch, 2008, Ein nur noch seltenes Paar Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend - Strategien gegen den Generationenabriss, ARD-Jahrbuch 08, Nomos: Baden-Baden, 23-29.

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Abbildung 3: Nutzungsdauer der Medien bei 14- bis 29-Jährigen

Quelle: .Birgit van Eimeren und Christa-Maria Ridder, 2011, Ergebnisse der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation - Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 bis 2010, Media Perspektiven 1/2011, 2-15

Die besondere Bedeutung, die hohe Suggestivkraft bzw. die meinungsbildenden Eigenschaften waren nicht unerheblich für die Forderung nach einem aktiven Gewährleistungsschutz im Bereich von Hörfunk und Fernsehen.57

Mit dem Bedeutungsverfall der Informationsverbreitung über knappe Rundfunkkanäle verringern sich die politisch-gesellschaftlichen Risiken, die mit einem Übergang zu einer stärker konkurrenzwirtschaftlichen Organisation des Fernsehens einhergehen. Und auch mit der Entstehung von Medien mit ähnlicher Suggestivkraft verliert dieses Argument für die Sonderstellung des öffentlichen Rundfunks an Bedeutung.

Typische Szenarien für die Zukunft des Medienkonsums halten eine Abnahme des traditionellen Rundfunks und eine weitere Zunahme des „nicht-linearen“ Medienkonsums für plausibel. Dennoch behält der öffentliche Rundfunk auch bei einer solchen Entwicklung eine wichtige Funktion. Beispielsweise benötigen die Konsumenten insbesondere in einer zunehmend komplexen Medienwelt mit einer Überfülle an Angeboten eine Filterfunktion - eine Aufgabe, die die Redaktionen der Rundfunkanstalten erfüllen.

57. Zuletzt BVerfG, Urteil vom 25.3.2014 - 1 BvF 1/11 und 4/11, Rdnr. 34.

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4. Leitlinien für eine Reform

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Die folgenden Eckpunkte einer Reform gehen von einem (möglichweise eingeschränkten oder modifizierten) Fortbestand der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender und einem in Analogie zum Zeitungsmarkt organisierten privatwirtschaftlichen Angebot aus.

Subsidiaritätsprinzip und Korrektur von Marktfehlern

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Die Übernahme von Leistungen durch den öffentlichen Sektor und ihre Finanzierung durch Zwangsabgaben stehen unter dem Legitimierungszwang des Subsidiaritätsprinzips.58 Dieser Schluss ergibt sich aus grundlegenden ökonomischen Überlegungen. Legitim ist die Leistungserbringung durch den öffentlichen Sektor nur dann, wenn ein entsprechendes Leistungsangebot nicht privatwirtschaftlich- konkurrenzwirtschaftlich zu organisieren ist, und zugleich die Qualität eines öffentlichen Angebots im Verhältnis zu den Kosten einen hinreichenden Mehrwert erbringt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte deshalb als Anbieter nur dort auftreten können, wo die Privaten selbst bei Setzung eines geeigneten regulatorischen Umfeldes ein gesellschaftlich und bildungspolitisch gefordertes Angebot nicht von sich aus anbieten würden. Für staatliche Eingriffe in den Markt ist eine überzeugende Rechtfertigung erforderlich. Wie die weltweit erfolgreich vermarkteten US-Fernsehserien zeigen, ist ein privates, auf Subskriptionen der Kanäle basierendes Fernsehsystem durchaus in der Lage, anspruchsvolle und aufwendige Unterhaltungsprogramme hervorzubringen. In den meisten Fällen dürfte eine vorsichtige Regulierung des privaten Angebots ausreichend sein. Wenn beispielsweise Einschränkungen des Zugangs zu kulturell und politisch relevanter Information wegen exklusiver Senderechte von Pay-TV drohen, oder wenn Ineffizienzen durch exzessive Werbeblöcke befürchtet werden, wäre es verfassungsrechtlich geboten, in das Marktgeschehen regulierend einzugreifen. Sollten die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Eingriff erfüllt sein, kann der Gesetzgeber allerdings auch ohne ein öffentlich-rechtlich produziertes Angebot durch eine geeignete Regulierung des privaten Angebots einen kostenfreien Zugang zu besonders relevanten Informationsinhalten gewährleisten.59

58. Von anderen - oben dargelegten - Prämissen ausgehend anders das Bundesverfassungsgericht.

59. Eine allokationspolitische Analyse der Marktform für die Produktion von Sportveranstaltungen und den Übertragungsrechten an solchen Veranstaltungen leisten Beck und Prinz (1998). In ihrer Abwägung verschiedener Vorteile und Nachteile gelangen sie zu einer positiven Einschätzung eines „pay-per-view“-Ansatzes; vgl. Hanno Beck und Alois Prinz, 1998, Sport im Pay-TV: Ein Fall für die Medienpolitik?, Wirtschaftsdienst, 78. Jg. Heft 4, 224-231.

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Um ein Angebot durch öffentlich-rechtliche Sender ökonomisch zu rechtfertigen, bedarf es einer aktiven Prüfung durch den Gesetzgeber, ob bestimmte Informationsinhalte von besonderem gesellschaftlichen oder bildungspolitischen Interesse erkennbar von den privaten Sendern vernachlässigt werden. Hierfür sind Institutionen erforderlich, die diese Defizite (z. B. hinsichtlich der Vielfalt des Angebots) identifizieren, und andere, die diese Lücken gegebenenfalls schließen.60

Erleichterung des Marktzutritts

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Falls die technologischen oder finanziellen Hürden für die Sendergründung für bestimmte Gesellschaftsgruppen, die solche Lücken schließen wollen, als zu hoch empfunden werden, können einzelne öffentlich-rechtliche Kanäle für Programminhalte mit vereinfachtem Zugang für alle bereitgestellt werden. Allerdings ist dieses Problem, das bereits bei der Zulassung der privaten TV-Sender in Deutschland adressiert wurde (Bürgerrundfunk, offene Kanäle), heutzutage angesichts der nahezu kostenlosen Zugänge zu eigenen Kanälen bei YouTube und ähnlichen Angeboten nachrangig geworden.

Governance im öffentlichen Rundfunk

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Bei der Governance ist zwischen der Mikro- und Makroebene zu unterscheiden. Die Governance der Makroebene bezieht sich auf die generellen Kontrollmöglichkeiten der Öffentlichkeit als Geldgeber der Rundfunkanstalten. Hierzu gehören Fragen der Finanzierungsform, der Ernennung der Intendanten von Rundfunkanstalten, die Regulierung privatwirtschaftlicher Einflussnahme durch Werbung und Sponsoring etc. Auf der Mikroebene stellt sich die Frage, ob das Programmangebot des öffentlichen Rundfunks ausschließlich durch langfristig angelegte, hierarchische Organisationsformen erfolgen soll oder ob nicht mehr flexible, wettbewerbliche Elemente nötig sind.

Auf der Makroebene steht die Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor dem Dilemma, dass einerseits die Politik als Vertreter der Steuerzahler auf die effiziente Nutzung der Mittel achten muss und dass andererseits die journalistische Unabhängigkeit der Medien von politischer Einflussnahme sichergestellt werden soll. International haben die Staaten sehr unterschiedliche Antworten auf dieses Dilemma gefunden. Die Tabelle in Anhang III liefert eine stark stilisierte Typologie der Governance-Formen. Deutschland gehört zu den korporatistischen Ländern, in denen ein vom Management der Sender unabhängiges und pluralistisches - und eben nicht von der Regierung - besetztes Gremium die Aufsicht über die Sender hat. Insbesondere die Unabhängigkeit von direkten Eingriffen der

60. Djankov et al. melden aufgrund ihrer empirischen Untersuchung staatlicher Eingriffe in den Medienbetrieb Zweifel an dieser Pigouschen Sicht einer benevolenten Regierung an, die Marktfehler im Informationsmarkt korrigiert. Sie finden, dass mehr staatliches Eigentum an Medienbetrieben (allerdings nicht unbedingt Rundfunkanstalten) mit schlechterer politischer, ökonomischer und sozialer Performance der Länder einhergeht. Vgl. Simeon Djankov, Caralee McLiesh, Tatiana Nenova und Andrei Shleifer, 2003, Who Owns the Media?, Journal of Law and Economics 46(2), 341-381. Christine Benesch zeigt, dass ein höherer Anteil öffentlicher Fernsehanstalten mit einem niedrigeren Konsum von Fernsehnachrichten einhergeht; dieser Befund würde nahelegen, dass die Zuschauer staatlich beeinflussten Nachrichten weniger Vertrauen schenken; vgl. Christine Benesch, 2012, Governance of Public Broadcasters and Television Consumption, mimeo, SIAW, Universität Sankt Gallen. Zu ähnlichen Befunden siehe auch Peter T. Leeson, 2008, Media Freedom, Political Knowledge, and Participation, Journal of Economic Perspectives 22(2),155-169.

Seite 33    Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung

politischen Ebene (Ministerien, Regierung) scheint die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Sender bei Nachrichtensendungen und von Fernsehsendern im Allgemeinen zu erhöhen.61 Ein starker Fokus auf den politischen oder gesellschaftlichen Proporz lässt Fragen der Kosteneffizienz leicht in den Hintergrund treten. Die Finanzierung erfolgt im korporatistischen System über Gebühren, u.a. mit der Begründung der größeren Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme. Ein Vergleich der verschiedenen Governance-Formen zeigt aber, dass es keinen klaren Zusammenhang zwischen Organisationsform und Finanzierungshöhe gibt. Eine auf Kosteneffizienz ausgerichtete Kontrolle steht im öffentlichen Sektor stets vor besonderen Herausforderungen, weil wettbewerbliche Elemente fehlen. Die politische Dimension des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Schutz vor politischer Einflussnahme erschweren eine effektive Kontrolle zusätzlich. Angesichts des Finanzvolumens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und einer dem demokratischen Budgetprozess weitgehend entzogenen Finanzierungsweise ist eine effektive Kostenkontrolle indes besonders wünschenswert. Die KEF verfügt als Aufsichtsbehörde durch die Rechnungshof-Vertreter im Grunde über die notwendige fachliche Kompetenz.

Grundsätzlich unterliegen auch die Rundfunkanstalten der Kontrolle durch die (Landes-)Rechnungshöfe, wobei das Ziel der Programmfreiheit als eine wichtige Nebenbedingung bei dieser erforderlichen Kontrolle zu beachten ist.62 Etablierte Verfahren wie „Yardstick Competition“ und fortschrittliche Methoden der Effizienzmessung (z. B. Data Envelopment Analysis - DEA) würden die Transparenz bezüglich der Mittelverwendung erhöhen. Eine starke Aufsicht, adäquate Vergleichsmaßstäbe, ein Abrücken von einer reinen Bedarfsfinanzierung sowie eine starke öffentliche Transparenz können den Druck zu mehr Kosteneffizienz verbessern. Auf der Mikroebene stellt sich bei den Sendeinhalten, die ohne staatlichen Eingriff nicht privatwirtschaftlich bereitgestellt würden, die Frage, ob viele der fehlenden Sendeinhalte nicht auch durch Ausschreibung und Subventionierung ausgeglichen werden können, oder ob für alle Entscheidungen über Sendeinhalte fest etablierte Redaktionen notwendig sind, die in die Hierarchie der Rundfunkanstalten eingebunden sind.63 Anstelle einiger öffentlich-rechtlicher Sender könnte man sich auch „Arts Councils“ vorstellen, die einzelne Programminhalte ausschreiben und finanzieren. Ein solches System existiert bereits in Neuseeland.64 In beschränktem Umfang - als Ergänzung zur BBC - wird ein solches „PSB contract awarding“ auch von Robin Foster und Kip Meek vorgeschlagen.65

61. Vgl. Benesch, 2012, a.a.O. und Sara Connolly und Shaun P. Hargreaves Heap, 2007, Cross Country Differences in Trust in Television and the Governance of Public Broadcasters, Kyklos 60(1), 3-14. Connolly und Hargreaves Heap finden, dass das Vertrauen mit einer direkten Regulierung durch Parlament oder Regierung sinkt; zwischen Selbstregulierung und Regulierung durch unabhängige Institutionen finden sie keinen Unterschied.

62. Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rdnr. 830 (113. Aktualisierung September 2004). Bereits oben wurde darauf hingewiesen, dass die Rundfunkanstalten dieser Kontrolle durch eine ganze Kaskade von Rechtsgutachten einzuschränken versuchen.

63. Ob der Staat bei konsequenter Anwendung der Ausschreibungen überhaupt noch Eigner der Sender sein muss, die diese Programme dann verbreiten, geht über die Perspektive dieser Stellungnahme hinaus, da der Beirat von öffentlich-rechtlichen Sendern ausgeht. Zur Frage, ob staatliche, hierarchische Organisationen eine adäquate (Second-Best-)Lösung darstellen und welche gesellschaftliche Kosten dabei anfallen, hat die Bürokratietheorie umfänglich Stellung genommen.

64. Vgl. Hanno Beck und Andrea Beyer, 2013, Rundfunkgebühr, Haushaltsabgabe oder Rundfunksteuer? Kriterien und Optionen zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Publizistik 58(1), 69-91.

65. Vgl. Robin Foster und Kip Meek, 2008, Public Service Broadcasting in the United Kingdom - A Longer Term View, Social Market Foundation (SMF), London.

Seite 34    Leitlinien für eine Reform

Die Autoren argumentieren, dass solche Wettbewerbe möglicherweise eine bessere Verwendung öffentlicher Gelder darstellen, als noch einen weiteren öffentlichen Sender zu finanzieren. Für Deutschland empfiehlt auch der Bund der Steuerzahler ein solches Ausschreibungsmodell, wobei alle Qualitätsdimensionen wie Programmart oder Sendeplatz von einem pluralistischen, unabhängigen Kontrollgremium überwacht werden sollen.66 Die Vorteile einer solchen Produktionsförderung bestehen in der größeren fiskalischen Flexibilität und der rascheren Anpassungsmöglichkeit an technische Veränderungen. Allerdings stellt sich bei der Einrichtung eines „Arts Council“ die Frage der geeigneten Governance: Wie soll ein solches Gremium besetzt werden? Wird es nicht viel leichter Opfer von Lobbyinteressen als z. B. die Redaktion einer Senderanstalt?67 Fehlt bei solchen periodischen Entscheidungen dann nicht der lange Atem, um neue Sendeformate zu entwickeln? Hargreaves Heap (2005) argumentiert beispielsweise, dass angesichts fehlender Qualitätskennziffern - wie schreibt man eine „gute Dokumentationssendung“ aus? - die Kontrahierung über einzelne Verträge schwierig ist, und daher insbesondere für komplexe und innovative Programminhalte ein öffentlicher Sender eine Second-Best-Lösung darstellen kann.68 Dies spricht aber nicht dagegen, zumindest in begrenztem Umfang mit Ausschreibungsmodellen zu experimentieren, insbesondere um die Flexibilität des öffentlichen Rundfunks angesichts des rapiden technischen Wandels zu erhöhen.

Finanzierung

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Seit 2013 erfolgt die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überwiegend durch feste nutzungsunabhängige Pflichtbeiträge, ergänzt durch Einnahmen aus Werbung und Sponsoring.

Einnahmen aus Werbung und Sponsoring können die Anreize in der Programmgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verzerren. Sie erschweren es letztlich den Anstalten, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die sich aus einer konsequenten Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ergeben würden. Angesichts des absolut gesehen großen Betrags an Werbeeinnahmen und seines verhältnismäßig geringen Anteils von gut 5 Prozent am Gesamtbudget des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte man einen Verzicht auf Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwägen.

Bei der Finanzierung durch die Nutzer hat sich der Gesetzgeber auf eine unglückliche Mischform festgelegt. Denn aus ökonomischer Sicht sind die jetzigen Pflichtbeiträge eine Steuer, die einer Zweckbindung unterliegt. Anstelle dieser Mischform sollte sich der Gesetzgeber entweder für eine klare Finanzierung aus dem allgemeinen Haushalt oder für eine moderne Nutzungsgebühr entscheiden. Entweder man betrachtet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ein Gut, das allen Bürgern gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden soll. Dann ist eine Finanzierung über Steuern sachgerecht, da sich damit - im Gegensatz zu den jetzigen Pflichtbeiträgen - eine Belastung nach der Leistungsfähigkeit gewährleisten

66. Vgl. Deutsches Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler, 2013, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland, Berlin. In der Wissenschaft werden solche wettbewerblichen Ausschreibungsmodelle schon sehr lange erfolgreich praktiziert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte im Jahr 2012 mehr als 31.000 Projekte, die in wettbewerblichen Verfahren vergeben wurden, mit insgesamt 2,7 Mrd. Euro.

67. Mancur Olson argumentiert, dass sich im Lobbyprozess kleine Gruppen besonders erfolgreich durchsetzen können, da sie aus dem Lobbying große Vorteile pro Kopf ziehen können. Dies würde nahelegen, dass die breite Zuschauerschaft im Lobbywettbewerb den Interessen der Produzenten unterliegen würde, Vgl. Mancur Olson,1965, The Logic of Collective Action, Public Goods and the Theory of Groups, Harvard University Press, Cambridge, MA.

68. Vgl. Shaun P. Hargreaves Heap, 2005, Television in a Digital Age: What Role for Public Service Broadcasting?, Economic Policy 41, 112-157.

Seite 35    Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung

lässt. Oder man trägt den veränderten technologischen Rahmenbedingungen Rechnung, die die Bereitstellung einer breiten Palette von Programmen als Clubgüter ermöglichen, und finanziert diese Programme durch nutzungsabhängige Gebühren.

Angesichts der verbesserten technischen Möglichkeiten kann eine moderne Nutzungsgebühr intelligenter ausgestaltet sein als das frühere deutsche Gebührenmodell. Sie kann an verschiedene Sachverhalte anknüpfen. Sie muss auch nicht mehr nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip erfolgen. Trotz der vielfältigen Empfangsmöglichkeiten (terrestrisch, Kabel, Satellit, Internet) sind heutzutage auch Subskriptionen einzelner Kanäle oder ein „Pay-per-View“-System technisch möglich. Für ein System der Kanalsubskription spricht auch ein weiteres Argument. Angesichts der Möglichkeiten, Filme genau zum gewünschten Zeitpunkt aus einem gewaltigen Archiv über Online-Mediatheken abzurufen, schwindet die Bedeutung des Angebots in klassischen TV-Formaten. Die so entstehende Angebotsflut schafft Nachfrage für Dienstleister mit Filterfunktion, wie sie über eine Vielzahl an Spartenkanälen geleistet werden könnte.

Solche Gebührenmodelle haben gegenüber der allgemeinen Steuerfinanzierung oder nutzungsunabhängigen Zwangsbeiträgen den Nachteil, dass - bei gegebenem Programm - einzelne Nutzer mit geringer Zahlungsbereitschaft vom Konsum ausgeschlossen werden. Gewichtet man den Zugang der Nutzer zu Information so hoch, dass man nutzungsabhängige Gebührenmodelle aus diesem Grund ablehnt, so besteht auch die Möglichkeit eines durch allgemeine Steuern oder durch Zwangsbeiträge finanzierten „Gutscheinsystems“. Dieses könnte jeden Haushalt mit einem unveräußerlichen „Budget“ ausstatten. Der Haushalt könnte dann aus einer breiten Palette werbefreier Angebote wählen. Diese Angebote selbst müssten nicht länger von einem monopolisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk produziert oder eingekauft werden, sondern könnten in konkurrenzwirtschaftlichen Produktions- und Angebotsformen erstellt werden. Eine Regulierungsbehörde könnte über diesen Sektor wachen. Sie müsste dabei auf den Erhalt des Wettbewerbs unter den Anbietern bedacht sein. Zu bedenken ist dabei, dass ein undifferenziertes Gutscheinmodell bei den Rundfunkanstalten die Anreize auf Einschaltquoten ausrichtet und damit zu ähnlichen Verzerrungen führen kann, wie sie im werbungsfinanzierten Rundfunk bestehen. Für eine adäquate Ausgestaltung des Rundfunksystems eines Landes muss gelten, dass das angebotene Programm letztendlich nicht unabhängig von der Zahlungsbereitschaft seiner Bürger sein darf. Hier bieten Nutzungsgebühren große Steuerungsvorteile, da sie zumindest ansatzweise Informationen über die Wertschätzungen der Konsumenten liefern

Seite 36    Fazit

5. Fazit

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Mit der Entstehung von Informationsmedien im Internet und dem Wegfall technologischer Beschränkungen sowie mit den stark gesunkenen Eintrittskosten für neue Programmkanäle haben sich die Bedingungen für das Informationsmedium Rundfunk nachhaltig verändert. Die technischen Gründe, mit denen einst das öffentlich-rechtliche System gerechtfertigt wurde, sind heutzutage weitgehend verblasst. Durch die Überlappung der Medien, z. B. bei den Internetauftritten, sind darüber hinaus Ansätze erkennbar, dass der Rundfunk in ineffizienter Weise in das bisherige Marktterritorium der Printmedien eingreift. Diese veränderten Rahmenbedingungen liefern gute Gründe für eine Reform des Rundfunksystems.

Ein zukunftsfähiges System des öffentlichen Rundfunks sollte dem Subsidiaritätsprinzip mehr Gewicht geben: Der öffentlich-rechtliche Anbieter sollte nur da auftreten, wo das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist. Angesichts der technischen Entwicklung gibt es kaum noch Gründe, warum der Rundfunkmarkt wesentlich anders organisiert sein sollte als der Zeitungsmarkt, der durch ein breites privates Angebot und Subskriptionsmodelle gekennzeichnet ist. Nur dort, wo die Privaten kein geeignetes Angebot erstellen, entsteht eine Aufgabe für die öffentliche Hand. Einige Lücken könnten durch eine kluge Regulierung eines weitgehend privaten Angebots geschlossen werden. Öffentlich-rechtliche Sender könnten die verbleibenden Lücken im Programmspektrum füllen. Allerding sollte im öffentlichen Rundfunk auf die Werbefinanzierung komplett verzichtet werden, da ansonsten die Fehlanreize der Programmgestaltung, die mit dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunk beseitigt werden sollen, gleichsam durch die Hintertür wieder eingeführt werden. Hier sollte sich der Gesetzgeber entweder für eine klare Finanzierung aus dem allgemeinen Haushalt oder für eine moderne Nutzungsgebühr entscheiden.

Innerhalb des öffentlichen Rundfunks können wettbewerbliche Elemente dazu beitragen, dass sich die Sender dynamisch besser an die sich wandelnden Zuschauerinteressen anpassen und der Kosteneffizienz besonderes Augenmerk schenken. Solche wettbewerblichen Elemente sind Subskriptionsmodelle für spezialisierte Spartenkanäle, die Ausschreibung von innovativen Programminhalten über „Arts Councils“ und die Publikationspflicht von standardisierten Kenngrößen. Die größere Transparenz durch die Publikation von Kenngrößen

fördert die Kosteneffizienz (Yardstick Competition). Die Vergabe von Mitteln über Wettbewerbe erhöht die Chancen auf innovative Sendeformate. Subskriptionsmodelle geben den Konsumenten eine Exit-Option und übermitteln so wichtige Signale über Konsumentenpräferenzen an die Sender.

Seite 37    Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung

Anhang I - III

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Quellen:

a. http://www.prosiebensat1.de/media/3684172/p7s1_gb2012_deutsch.pdf S.3

b. http://www.rtl-group.com/public/Website/file_asset/FY_2012_Full_Year_Financial_Report.pdf S.9

c. http://ir.sky.de/sky/pdf/2012/Geschaeftsbericht2012_dt_safe.pdf S.4

d. http://presse.qvc.de/136.html, Umsatz des Jahres 2013

e. http://www.hse24.com/media/de/company_dateien/files_press/basisdaten_presse/ 140312_unternehmenspraes_HSE24_D.pdf S.17

f. http://www.zdf.de/ZDF/zdfportal/blob/31233444/1/data.pdf S.9

g. http://www.ard.de/download/329314/ARD_Finanzstatistik.pdf S.5-14

69. Die ProSiebenSat.1 Media AG umfasst die folgenden im deutschen Fernsehen empfangbaren Fernsehsender: SAT.1, ProSieben, kabel eins, sixx, SAT.1 Gold und ProSieben MAXX.

70. Die Mediengruppe RTL Deutschland umfasst die folgenden im deutschen Fernsehen empfangbaren Fernsehsender: RTL Television, VOX, n-tv, SUPER RTL, RTL II, RTLNITRO, RTL CRIME, passion und RTL Living.

Seite 38    Anhang

Seite 39  Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung

Seite 40    Anhang

Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums der Finanzen

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Impressum

Herausgeber: Bundesministerium der Finanzen, Referat für Öffentlichkeitsarbeit, Wilhelmstr. 97, 10117 Berlin

Stand: Oktober 2014

Bildnachweis: Ilja C. Hendel

Redaktion: Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen

Weitere Informationen im Internet unter: www.bundesfinanzministerium.de

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt.

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